Quo Vadis
wäre die größte Vorsicht nötig; da man sie jedoch als Leiche fortträgt, wird kein Mensch irgendwelchen Verdacht schöpfen.“
„Das ist wahr“, sagte Vinicius. „Ich will dabeisein und sie selber aus dem Sarge heben.“
„Ist sie einmal in meinem Hause in Corioli, so bürge ich für sie“, sprach Niger.
Hier wurde die Unterredung abgebrochen. Niger begab sich zu seinen Leuten in das Gasthaus. Nazarius verbarg eine Börse voll Gold unter seiner Tunika und kehrte ins Gefängnis zurück. Für Vinicius begann ein Tag voll Unruhe, Aufregung und Hoffnung.
„Das Unternehmen sollte gelingen, denn es ist gut geplant“, sagte Petronius. „Es könnte nicht besser ausgedacht sein. Du mußt Trauer heucheln und eine dunkle Toga tragen. Entfliehe nicht aus dem Amphitheater, das Volk soll dich sehen. Die ganze Sache ist so gut geordnet, daß sie nicht fehlschlagen kann. Aber darfst du dich auf deinen Verwalter auch wirklich verlassen?“
„Er ist ein Christ“, antwortete Vinicius.
Petronius sah ihn erstaunt an; dann zuckte er die Achseln und sagte wie im Selbstgespräch:
„Bei Pollux! Wie diese Lehre sich verbreitet und die Herzen der Menschen beherrscht! Man sollte meinen, unter den Schrecken der Gegenwart würde alles zu den römischen, griechischen oder ägyptischen Göttern zurückkehren. Doch es ist erstaunlich, bei Pollux! Wenn ich glaubte, daß irgend etwas von unseren Göttern abhängt, würde ich jedem von ihnen sechs Ochsen opfern und dem Jupiter Capitolinus zwölf. Spare gegenüber deinem Christus kein Versprechen.“
„Ich habe ihm meine Seele gegeben“, erwiderte Vinicius.
Sie trennten sich. Petronius kehrte ins Cubiculum zurück. Vinicius ging, um von ferne nach dem Gefängnis zu blicken, und wandte sich dann nach dem Abhang des Vatikanischen Hügels – zu der Hütte jenes Steinbrechers, bei dem er aus der Hand des Apostels die Taufe empfangen hatte. Es schien ihm, Christus würde ihn dort eher erhören als an einem anderen Ort. Hier angelangt, warf er sich zur Erde und flehte aus allen Kräften seiner schmerzerfüllten Seele um Barmherzigkeit, so daß er darüber vergaß, wo er war und was er tat. Erst am Nachmittag brachte ihn der Schall der Trompeten von Neros Zirkus her wieder zu sich. Er verließ die Hütte und blickte um sich, als wäre er eben vom Schlafe erwacht.
Es war heiß; die Stille wurde nur gestört durch das Geräusch der in der Nähe Arbeitenden und das endlose Zirpen der Heuschrecken. Die Luft war schwül geworden; über der Stadt war der Himmel noch heiter, aber in der Nähe der Sabiner Berge sammelten sich dunkle Wolken.
Vinicius kehrte heim und wurde von Petronius im Atrium erwartet.
„Ich war im Palast“, sagte er. „Ich zeigte mich dort mit Absicht und beteiligte mich sogar am Würfelspiel. Anitius gibt diesen Abend in seinem Hause ein Fest, und ich versprach zu kommen, doch erst nach Mitternacht; ich sagte, ich müßte vorher schlafen. Ich werde mich auch wirklich einfinden, und es wäre gut, wenn du mich begleiten würdest.“
„Sind keine Nachrichten von Niger oder Nazarius gekommen?“ fragte Vinicius.
„Nein, wir werden sie erst um Mitternacht wiedersehen. Hast du bemerkt, daß ein Sturm im Anzug ist?“
„Ja.“
„Für morgen ist eine Schaustellung von gekreuzigten Christen anberaumt; aber vielleicht wird sie durch den Regen verhindert.“
Dann trat Petronius näher und sagte, die Hand auf die Schulter seines Neffen legend:
„Aber Lygia sollst du nicht am Kreuze sehen müssen; du wirst sie nur in Corioli treffen. Bei Kastor! Ich würde den Augenblick ihrer Befreiung nicht für alle Edelsteine Roms eintauschen.“
Der Abend brach an, und früher als gewöhnlich begann Finsternis die Stadt zu bedecken, denn der ganze Horizont war mit Gewölk umzogen. Bei Einbruch der Nacht fiel schwerer Regen nieder, der sich auf den von der Tageshitze erwärmten Steinen in Dampf verwandelte und die Straßen mit Nebel erfüllte. Dann trat Windstille ein, worauf kurze, heftige Regenschauer folgten.
„Laß uns eilen!“ sagte endlich Vinicius. „Sie könnten wegen des Sturmes die Leichname früher aus dem Gefängnis tragen.“
„Es ist Zeit“, versetzte Petronius.
Sie bekleideten sich mit gallischen Mänteln und Kopfbedeckungen und gingen durch die Gartentür auf die Straße. Petronius hatte sich mit einem kurzen römischen Dolchmesser, einer Sica, bewaffnet, wie er es bei nächtlichen Ausgängen immer tat.
Die Stadt war wegen des Sturmes menschenleer. Von
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