Quo Vadis
Zeit zu Zeit zerrissen Blitze die Wolken und beleuchteten mit blendendem Glanze die frischen Mauern der neuerrichteten oder im Bau begriffenen Häuser und die nassen Steinfliesen, mit denen die Straßen gepflastert waren. Nachdem sie einen weiten Weg zurückgelegt hatten, erhellte endlich ein Blitzstrahl den Erdwall mit dem Tempel der Libitina auf der Höhe und einer Gruppe von Maultieren und Pferden an dessen Fuß.
„Niger!“ rief Vinicius mit leiser Stimme.
„Hier bin ich, Herr!“ war die Antwort.
„Ist alles bereit?“
„Ja, Herr, wir fanden uns mit der Dunkelheit hier ein. Verbergt euch hier unter dem Walle vor dem Regen. Welch ein Sturm! Ich denke, es wird noch Hagel fallen.“
Nigers Furcht war gerechtfertigt. Es begann zu hageln, erst schwach, dann immer stärker und stärker. Die Luft wurde plötzlich kalt. Während sie unter dem Walle standen, der sie vor Wind und Hagel schützte, sprachen sie leise miteinander.
„Sollte uns hier auch jemand sehen“, sagte Niger, „so wird man doch keinen Verdacht schöpfen, sondern uns für Leute halten, die das Ende des Sturmes abwarten. Aber ich fürchte, daß sie die Leichen nicht vor dem Morgen bringen werden.“
„Der Hagelsturm wird nicht lange dauern“, erwiderte Petronius, „wir müssen bleiben, selbst bis Tagesanbruch.“
Sie warteten und lauschten, um das Geräusch des nahenden Zuges zu vernehmen. Der Hagelschauer ging vorüber; dann folgte ein heftiger Regenguß. Zuweilen erhob sich ein Wind und brachte von der Leichengrube her den schrecklichen Geruch verwesender Körper, die nahe der Oberfläche und nur nachlässig begraben waren.
„Ich gewahre ein Licht durch den Nebel“, sagte Niger, „eins, zwei, drei – es sind die Fackeln. Gebt acht, laßt die Maultiere keinen Laut von sich geben“, sprach er zu den Männern.
„Sie kommen“, flüsterte Petronius.
Die Lichter wurden deutlicher, und bald konnte man unter den zitternden Flammen die Fackeln unterscheiden.
Niger machte das Kreuzzeichen und begann zu beten. Unterdessen näherte sich die düstere Prozession und hielt endlich vor dem Tempel der Libitina. Petronius, Vinicius und Niger preßten sich schweigend gegen den Wall, da sie nicht wußten, warum haltgemacht wurde. Doch die Männer waren nur stehengeblieben, um Mund und Angesicht mit Tüchern zu bedecken und den unerträglichen, erstickenden Geruch von sich abzuhalten, der ihnen von der Leichengrube her entgegen kam; dann erhoben sie die Bahren mit den Särgen und gingen weiter.
Nur ein Sarg blieb vor dem Tempel stehen. Vinicius sprang darauf zu; ihm folgten Petronius, Niger und zwei britische Sklaven mit der Sänfte. Aber ehe sie den Sarg in der Dunkelheit erreicht hatten, rief ihnen Nazarius schmerzerfüllt entgegen:
„Herr, man brachte sie mit Ursus in das Esquilinische Gefängnis. Wir tragen einen anderen Leichnam. Die beiden wurden schon vor Mitternacht fortgeführt.“
Petronius kehrte heim, finster wie die Nacht, und versuchte es auch nicht, Vinicius zu trösten. Er sah ein, daß an eine Befreiung Lygias aus dem Esquilinischen Gefängnis nicht zu denken war. Man hatte sie wohl deshalb aus dem Tullianum genommen, sagte er sich, um sie vor dem Tode zu bewahren und für das Amphitheater, für das sie bestimmt war, zu erhalten. Aus eben diesem Grunde wurde sie auch sorgfältiger als die übrigen bewacht. Petronius bedauerte Lygia und Vinicius aus tiefster Seele, aber es quälte ihn auch der Gedanke, zum erstenmal in seinem Leben erfolglos gekämpft zu haben.
„Das Glück scheint mich zu verlassen“, sagte er sich, „aber die Götter irren, wenn sie glauben, ich werde ein Leben führen wie Vinicius.“
Dabei wandte er sich zu diesem, der ihn mit stieren Augen anblickte:
„Was ist dir? Du hast Fieber.“
Vinicius antwortete mit eigentümlicher, gebrochener, zögernder Stimme, gleich der eines kranken Kindes:
„Aber ich glaube, daß er sie mir zurückgeben kann.“
Über der Stadt verhallten die letzten Donnerschläge.
LVIII
Wegen des drei Tage lang unaufhörlich strömenden Regens – ein seltenes Phänomen in einem römischen Sommer – und des Hagels, der allem Gewohnten zuwider nicht bloß bei Tage, sondern auch nachts fiel, wurden die Zirkusspiele unterbrochen. Das Volk erschrak. Man prophezeite eine Mißernte, und als gar eines Nachmittags ein Blitzstrahl die eherne Statue der Ceres auf dem Kapitol schmolz, wurden eiligst Opfer im Tempel des Jupiter Salvator angeordnet. Die Priester der Ceres verbreiteten
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