Quo Vadis
kommen und ging ihm entgegen.
„Habt ihr etwas erreicht?“ fragte er. „Ist Nazarius ins Gefängnis gegangen?“
„Ja“, antwortete der junge Mann und strich seine vom Regen nassen Haare aus der Stirn, „Nazarius ging, um die Angelegenheit mit den Wachen zu ordnen, und ich habe Petrus gesehen, der mir befahl, zu beten und zu glauben.“
„Das ist gut. Wenn alles glücklich vonstatten geht, können wir sie nächste Nacht wegtragen.“
„Mein Pächter muß mit seinen Leuten bei Tagesanbruch hier sein.“
„Der Weg ist kurz. Geh jetzt zur Ruhe.“
Aber Vinicius kniete im Cubiculum und betete.
Mit Sonnenaufgang langte der Pächter Niger von Corioli an und brachte auf Vinicius’ Befehl Maultiere, eine Sänfte und vier zuverlässige, unter seinen britischen Sklaven ausgewählte Männer mit, die er, um sein Erscheinen nicht auffällig zu machen, in einem Gasthause an der Subura zurückgelassen hatte.
Vinicius, der die ganze Nacht kein Auge geschlossen hatte, ging ihm entgegen. Niger war beim Anblick seines jugendlichen Herrn gerührt, küßte ihm Hände und Augen und sprach:
„Mein Teurer, du bist krank, oder irgendein Leid hat deine Wangen gebleicht; denn ich kannte dich kaum wieder.“
Vinicius führte ihn tiefer in die Kolonnade hinein und eröffnete ihm hier sein Geheimnis. Niger lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit, und sein mageres, sonnverbranntes Gesicht verriet große Bewegung, die er auch nicht zu bemeistern suchte.
„Dann ist sie eine Christin!“ rief Niger aus; und er schaute fragend in Vinicius’ Angesicht, der offenbar ahnte, was der erstaunte Blick des Landmanns bedeutete, und ihm sagte:
„Auch ich bin ein Christ!“
Tränen erglänzten jetzt in Nigers Augen. Einige Zeit schwieg er, dann erhob er seine Hände und betete:
„Ich danke dir, o Christus, daß du die Binde von jenen Augen genommen, die mir die teuersten auf Erden sind.“
Und er umarmte Vinicius, küßte dessen Stirn und weinte vor Glück.
Bald darauf erschien Petronius, begleitet von Nazarius.
„Gute Nachrichten!“ rief er schon von ferne.
In der Tat, die Nachrichten waren gut. Vor allem hatte Glaukos, der Arzt, Lygias Genesung verbürgt, obwohl sie dasselbe Gefängnisfieber hatte, dem im Tullianum und in anderen Kerkern täglich Hunderte erlagen. Zudem waren die Wachen und der Mann, der den Tod der Hinausgeschafften zu prüfen hatte, gewonnen; auch Attys, der Gehilfe.
„Wir machten Öffnungen in den Sarg, um der Kranken das Atmen zu ermöglichen“, sagte Nazarius. „Gefährlich könnte einzig der Umstand werden, daß sie möglicherweise stöhnt oder spricht, wenn wir an den Prätorianern vorbeikommen. Allein sie ist sehr schwach und liegt seit dem frühen Morgen mit geschlossenen Augen da. Glaukos wird ihr einen Schlaftrunk reichen, den er selbst aus Medikamenten bereitete, die ich aus der Stadt holte. Der Deckel wird nicht auf den Sarg genagelt werden, ihr könnt ihn leicht abheben und die Kranke in die Sänfte bringen. In den Sarg legen wir dann einen Sack voll Sand, den ihr bereithalten werdet.“
Vinicius war beim Hören dieser Worte weiß wie die Wand, aber er lauschte mit einer Spannung, als wolle er alles auf einmal hören, was Nazarius sagte.
„Werden auch andere Leichen aus dem Gefängnis getragen?“ fragte Petronius.
„Ungefähr zwanzig starben diese Nacht, und bis zum Abend werden noch mehrere Todesfälle eintreten“, sagte der Jüngling. „Wir werden mit vielen anderen gehen müssen; doch wollen wir zögern, damit wir an den Schluß kommen. An der ersten Straßenecke wird mein Gehilfe zum Schein stolpern, und so können wir leicht hinter den anderen eine beträchtliche Strecke zurückbleiben. Erwarte uns beim kleinen Tempel der Libitina! Möge Gott eine möglichst dunkle Nacht geben!“
„Er wird es tun“, sagte Niger. „Der letzte Abend war hell, hernach erhob sich ein Sturm. Heute ist der Himmel klar, aber seit dem Morgen ist es schwül. Jede Nacht wird jetzt windig und regnerisch sein.“
„Geht ihr ohne Fackeln?“ fragte Vinicius.
„Die Fackeln werden nur vorausgetragen. In jedem Falle haltet euch in der Nähe des Tempels im Dunkeln, obwohl wir die Leichname gewöhnlich erst kurz vor Mitternacht fortschaffen.“
Sie hielten inne. Man vernahm nur Vinicius’ raschen Atem. Petronius wandte sich zu ihm.
„Ich sagte gestern, für uns beide wäre es am besten, wenn wir zu Hause blieben; jetzt sehe ich, daß mir dies unmöglich ist. Würde es sich um eine Flucht handeln, so
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