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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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schenkte ihr keine große Aufmerksamkeit, denn alle beschäftigten sich in Gedanken mit Chilon. Die von Blut und Marter übersättigten Zuschauer waren gelangweilt; sie zischten, stießen Rufe aus, die für den Hof keineswegs schmeichelhaft waren, und verlangten die Bärenszene, die einzig ihre Neugier erregte. Hätte das Volk nicht Geschenke erwartet und gehofft, Chilon zu sehen, die Vorstellung hätte vor leeren Bänken vor sich gehen müssen.
    Endlich erschien der Augenblick. Diener brachten zuerst ein hölzernes Kreuz herein; es war so niedrig, daß ein auf den Hinterfüßen stehender Bär des Gemarterten Brust erreichen konnte. Zwei Männer führten, richtiger gesagt, schleppten Chilon herein, denn seine Kraft war gebrochen, er konnte nicht allein gehen. Sie legten ihn auf das Kreuz und nagelten ihn so rasch fest, daß es die neugierigen Höflinge nicht einmal gut zu sehen bekamen; erst nachdem das Kreuz an der hierfür bestimmten Stelle eingerammt war, konnten sich aller Augen auf das Opfer richten. Nur wenige waren imstande, in diesem nackten Mann den früheren Chilon zu erkennen. Tigellinus hatte Martern über ihn verhängt, die ihm keinen Tropfen Blut mehr gelassen hatten, nur auf seinem weißen Barte zeigte sich noch eine rote Spur, die davon herrührte, daß man ihm die Zunge ausgerissen hatte. Die durchsichtige Haut ließ seine Gebeine durchscheinen. Er schien auch viel älter und war völlig gebrochen. Früher sprühten seine Augen in steter Unruhe und Bosheit, sein lauerndes Gesicht spiegelte beständig Angst und Ungewißheit; jetzt lag darauf wohl der Ausdruck der Pein, doch war es dabei so mild und ruhig wie das Antlitz eines Schlafenden oder Toten. Er mochte in diesem Augenblick des Schächers am Kreuze gedenken, dem Christus verziehen; vielleicht betete er in seiner Seele vertrauensvoll zu dem barmherzigen Gott:
    „O Herr, ich biß wie ein giftiges Tier und war dabei mein ganzes Leben lang unglücklich. Ich starb beinahe vor Hunger, man trat mich mit Füßen, schlug und höhnte mich. Ich war arm und elend, und jetzt unterwarf man mich der Marter und nagelte mich ans Kreuz, aber du, o Barmherziger, wirst mich in dieser Stunde nicht verwerfen.“
    Friede senkte sich offenbar in sein zerknirschtes Herz. Niemand lachte, denn aus diesem gekreuzigten Menschen sprach so große Ruhe, er war so alt, so wehrlos, so schwach, sein Zustand so mitleiderregend, daß jedermann sich unwillkürlich fragte, wie man Menschen, die ohnedies am Sterben waren, martern und ans Kreuz nageln könne. Die Menge schwieg. Vestinus flüsterte den ihn umgebenden Augustianern mit bebender Stimme zu: „Seht, wie sie sterben!“ Andere schauten nach dem Bären aus, denn sie wünschten ein möglichst rasches Ende dieses Schauspiels.
    Jetzt betrat der Bär die Arena, seinen herabhängenden Kopf von einer Seite zur anderen wendend, rund um sich blickend, als ob er an etwas denke oder etwas suche. Endlich bemerkte er das Kreuz und den entblößten Körper. Er näherte sich, stellte sich auf die Hinterbeine, fiel jedoch nach einem Augenblick wieder auf die Vordertatzen zurück, setzte sich unter das Kreuz und begann zu brummen; es schien, als rege sich selbst in dem wilden Tiere Mitleid für dieses Gerippe eines Menschen.
    Die Sklaven des Zirkus erhoben ein Geschrei, um den Bären zu reizen, die Zuschauer jedoch verharrten in Schweigen.
    Chilon bewegte leicht das Haupt, und seine Augen glitten über die Menge, dann auf einmal haftete sein Blick an einer der obersten Reihen des Amphitheaters, seine Brust schien wieder Leben zu gewinnen, und es trat eine Veränderung an ihm ein, die Verwunderung und Staunen hervorrief. Ein Lächeln verklärte sein Antlitz, ein Lichtstrahl schien die Stirn zu umfließen, seine Augen wandten sich nach der Höhe, und zwei große Tränen entflossen ihnen.
    Und er starb.
    Da erscholl eine kräftige Mannesstimme hoch oben unter dem Velarium:
    „Die Märtyrer, sie sollen ruhen in Frieden!“
    Tiefe Stille herrschte im Amphitheater.

LXIV
    Seit jenem Schauspiel in des Cäsars Gärten waren die Kerker ziemlich geleert. Zwar wurde immer noch nach Bekennern des „morgenländischen Aberglaubens“ gefahndet; allein die Verfolgung ergab immer weniger Gefangene, kaum genug für die kommenden Schaustellungen. Die Menge war auch satt vom Blut. Überdruß bemächtigte sich ihrer zusehends. Die unerhörte Geduld der Opfer verblüffte sie, Tausende begannen die Befürchtungen des Vestinus zu teilen. Einer erzählte dem

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