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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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bedienen, entwarf er jetzt in Gedanken einen ganzen Entführungsplan mit militärischer Genauigkeit. Er wußte, wie kühn sein Schritt war, aber auch, daß kühne Angriffe in der Regel erfolgreich sind.
    Der Weg war weit, so daß er bisweilen Zeit fand, an die Kluft zu denken, die jene wunderbare Religion zwischen ihn und Lygia gesetzt hatte. Er verstand nun das früher Geschehene und warum es geschehen war. Er war scharfsichtig genug, sich zu sagen, daß er Lygia bisher nicht genügend gekannt habe. Sie war ihm bis jetzt ein Mädchen gewesen, schöner als alle anderen, das seine Begierde entflammt hatte. Jetzt wußte er, daß ihre Religion sie verschieden von anderen Frauen machte und daß seine Hoffnung, sie durch Liebe und Verlangen, durch Reichtum und Pracht gefügig zu machen, eitel war. Was er und Petronius nicht verstanden hatten, war ihm jetzt klar, daß nämlich die neue Religion der Seele etwas einprägte, was jener Welt, in der er lebte, unverständlich war, daß darum Lygia, selbst wenn sie ihn liebte, keine einzige ihrer christlichen Wahrheiten seinetwegen opfern würde und daß, wenn es überhaupt Genuß für sie gab, es ein weit anderer Genuß sein müsse als jener, dem er, dem Petronius, der Hof des Cäsars und ganz Rom nachjagten. Jedes Weib, das er kannte, könnte seine Geliebte, diese Christin jedoch nur sein Opfer werden. Heftige Unruhe und brennende Pein erfüllten ihn, wenn er daran dachte, wie machtlos sein Zorn ihr gegenüber war. Lygia zu entführen schien ihm leicht möglich; doch er wußte, daß angesichts ihrer Religion er samt seiner Kühnheit und seiner Macht ein Nichts sei und nichts erreichen werde. Dieser römische Militärtribun, überzeugt, die Macht des Schwertes und der Faust, nachdem sie die Erde erobert hatte, würde diese für immer beherrschen, sah zum erstenmal im Leben, daß es vielleicht über dieser Macht noch eine höhere gebe. Staunend fragte er sich, was für eine Macht das sei. Er fand keine bestimmte Antwort. Er sah bloß die verschwommenen Bilder des Ostrianums, der versammelten Gemeinde und das Bild Lygias, wie sie mit ganzer Seele an den Lippen des Alten hing, während er von Leiden, Tod und Auferstehung des Gottmenschen erzählte, der die Welt erlöst und Glückseligkeit jenseits des Styx versprochen habe.
    Ein Chaos wirbelte in seinem Kopfe. Chilon entriß ihn seinem verzweifelten Grübeln, indem er sein Schicksal zu beklagen anfing. Er habe sich, erboten, Lygia aufzuspüren, unter Lebensgefahren sie entdeckt und vor Vinicius’ Augen gebracht. Was solle er mehr tun? Habe er vielleicht versprochen, das Mädchen zu entführen? Wer dürfe das von einem verstümmelten, zweier Finger beraubten Manne verlangen, von einem Greise, der sich der Betrachtung, der Wissenschaft und Tugend befleißige! Was würde geschehen, falls einem Herrn von solcher Würde wie Vinicius bei dem Raube des Mädchens ein Unfall zustieße? Allerdings seien die Götter verpflichtet, über ihre Lieblinge zu wachen, doch hätten derlei Dinge sich mehr denn einmal ereignet, weil die Götter gerade beim Spiele gesessen, statt das Tun und Treiben der Sterblichen zu bewachen. Fortunas Augen seien bekanntlich verbunden, so daß sie selbst am hellen Tage nichts sehe; wie müsse es dann erst bei Nacht sein. Geschieht etwas, schleudert jener lygische Bär dem edlen Vinicius einen Mühlstein nach oder ein Faß voll Wein oder, noch schlimmer, ein Faß voll Wasser, wer verbürgt es dann, daß nicht Tadel statt der Belohnung den unglücklichen Chilon trifft? Er, der arme Weise, habe sich an den edlen Vinicius angeschlossen wie Aristoteles an den mazedonischen Alexander. Wenn der edle Herr ihm wenigstens jenen Beutel geben wollte, den er in den Gürtel steckte, bevor sie das Haus verließen, so würde das schon ein Mittel sein, um im Falle der Not Hilfe zu bekommen oder auf die Christen einzuwirken. Warum nicht den Rat eines Greises befolgen, einen Rat, den Erfahrung und Weisheit diktierten?
    Vinicius entnahm seinem Gürtel den Beutel und warf ihn Chilons ausgestreckten Fingern zu.
    „Du hast ihn. Schweige!“
    Der Grieche fühlte, daß der Beutel ungewöhnlich schwer war. Sein Mut stieg.
    „Meine ganze Hoffnung besteht darin“, sagte er, „daß Hercules und Theseus noch weit schwierigere Taten vollbracht haben. Was ist Kroton, mein persönlicher, trautester Freund, anderes als ein Hercules? Dich, edler Herr, will ich keinen Halbgott nennen, denn du bist ein ganzer Gott und wirst fürderhin einen armen,

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