Quo Vadis
er den feigen Griechen entbehren konnte. Er wollte ihm sogar erlauben, seine eigenen Wege zu gehen. Doch das wünschte Chilon nicht. Der würdige Philosoph war vorausblickend. Neugier hieß ihn folgen. Von Zeit zu Zeit bot er seinen Rat wieder an, wobei er sich Vinicius näherte. Er glaubte nämlich, jener Alte neben dem großen Apostel könnte Glaukos sein, wenn er nur nicht so klein wäre. Längere Zeit verging, bevor sie jenseits des Tibers waren. Die Sonne kam schon über den Horizont, als die Schar, die Lygia begleitet hatte, auseinanderging. Der Apostel, eine alte Frau und der Knabe schritten stromaufwärts weiter; der kleinere Greis, Ursus und Lygia betraten einen engen Vicus und verschwanden nach etwa hundert Schritten in einem Hause, worin ein Oliven- und ein Geflügelladen waren.
Chilon hielt sich ungefähr fünfzig Schritt hinter Vinicius und Kroton und blieb nun wie angewurzelt stehen, indem er sich an die Mauer drückte und seinen Begleitern leise zurief, zurückzukommen.
Sie folgten ihm, denn sie mußten sich beraten.
„Geh, Chilon“, befahl Vinicius. „Sieh nach, ob dieses Haus an eine andere Straße grenzt.“
Chilon, der vorher über wunde Füße geklagt hatte, sprang weg, als ob er Merkurs Flügel an den Fußknöcheln trüge. Im Nu war er zurück.
„Nein, Herr. Es gibt nur einen Zugang.“
Dann faltete er die Hände und sprach:
„Ich beschwöre dich bei Jupiter, Apollon, Vesta, Kybele, Isis, Osiris, Mithras, Baal, bei allen Göttern des Morgen-und Abendlandes, laß deinen Plan fallen. Höre mich an …“
Er hielt plötzlich inne. Vinicius’ Antlitz war bleich vor Erregung, seine Augen glühten wie die eines Wolfes. Ein Blick auf ihn genügte, um jeden zu überzeugen, er werde um keinen Preis von seinem Vorhaben ablassen.
Kroton holte tief Atem und schwenkte den massigen Schädel hin und her wie ein Bär im Käfig. Doch nicht die geringste Furcht war bei ihm zu sehen.
„Ich trete zuerst ein“, sagte er.
„Du gehst nach mir“, erwiderte Vinicius in befehlendem Tone.
Bald verschwanden beide im Dunkel des Eingangs.
Chilon sprang hinter die Ecke der nächsten Gasse, in Erwartung der kommenden Dinge.
XXII
Erst im Flur wurde Vinicius die ganze Schwierigkeit seines Unternehmens klar. Das Haus war groß und hatte mehrere Stockwerke; es gehörte zu jenen Tausenden, die in Rom um der Mieteinnahmen willen erbaut wurden. Sie waren daher in der Regel so rasch und schlecht gebaut, daß kaum ein Jahr verging, in dem nicht viele über den Häuptern ihrer Mieter zusammenstürzten. Sie glichen Bienenstöcken, waren zu hoch und zu eng, in eine Anzahl von Kammern und Winkeln geteilt und von armen Leuten überfüllt. Wie in der Stadt viele Straßen keine Namen hatten, so gab es auch keine Hausnummern. Die Sklaven, die die Miete einzuziehen hatten, waren nicht verpflichtet, die Namen der Mieter bei der Stadtobrigkeit anzugeben, und so kannten sie sie meist selber nicht. Es war daher sehr schwer, in einer solchen „Insula“ durch Nachfragen jemand zu finden, namentlich wenn es keinen Türhüter gab.
Vinicius und Kroton gelangten durch einen engen, korridorähnlichen Raum in einen schmalen Hof. Er war von Mauern umschlossen und bildete eine Art gemeinschaftlichen Atriums für das ganze Haus. In seiner Mitte stand ein Brunnen, dessen Wasser in einen steinernen Behälter am Boden niederfiel. An den Mauern führten Treppen von Stein oder Holz empor. Sie endigten in Galerien, die teils durch hölzerne Türen, teils durch verblichene, zerrissene oder geflickte wollene Vorhänge abgeschlossen waren.
Es war frühe Morgenstunde; kein lebendes Wesen zeigte sich im Hof. Offenbar lag das ganze Haus noch in tiefem Schlaf, jene Bewohner ausgenommen, die vom Ostrianum zurückgekehrt waren.
„Was sollen wir tun, Herr?“ fragte Kroton stillstehend.
„Laß uns hier warten, vielleicht erscheint doch jemand“, antwortete Vinicius, „es wird uns hier im Hofe niemand sehen.“
Da fiel ihm Chilons praktischer Rat ein. Wenn etwa ein Dutzend Sklaven zur Hand wären, könnte man sich leicht des Tores bemächtigen, alle Wohnungen gleichzeitig durchsuchen und so auch zu Lygia gelangen; anderenfalls könnten Christen, die gewiß auch hier nicht fehlten, sie warnen. Daher war ein Nachforschen durch Fremde sehr gewagt. Vinicius dachte nach, ob es nicht besser wäre, seine Sklaven herbeizuholen. Da kam plötzlich hinter einem fernen Vorhang ein Mann hervor mit einem Sieb in der Hand und näherte sich dem Brunnen. Auf
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