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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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den ersten Blick erkannte Vinicius in ihm Ursus.
    „Das ist der Lygier“, flüsterte er.
    „Soll ich ihm gleich die Knochen zerschlagen?“
    „Warte ein wenig!“
    Ursus bemerkte die im Schatten des Eingangs stehenden Männer nicht und begann ruhig das mit Gemüse gefüllte Sieb ins Wasser zu senken. Offenbar wollte er nach der auf dem Begräbnisplatz zugebrachten Nacht ein Mahl bereiten. Bald war er mit seiner Arbeit zu Ende; er nahm das nasse Sieb und verschwand hinter dem Vorhang. Kroton und Vinicius folgten ihm in der Erwartung, direkt zu Lygias Wohnung zu gelangen. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie sich überzeugten, daß der Vorhang nicht eine Wohnung, sondern einen weiteren Korridor vom Hofe trennte! An seinem Ende befanden sich ein kleiner Garten mit Zypressen und Myrrhengebüsch und ein Häuschen, hingelehnt an die fensterlosen Mauern eines anderen steinernen Gebäudes.
    Dies war ein günstiger Umstand. Im Hofraum hätten die Hausbewohner zusammenlaufen können; die Abgeschlossenheit des kleinen Hauses aber erleichterte das Unternehmen. Etwaige Verteidiger und selbst den Ursus konnten die beiden rasch überwinden und ebenso rasch mit der gefangenen Lygia die Straße erreichen, und dann würden sie sich selbst helfen. Ein Angriff war nicht zu erwarten, und sollte selbst ein solcher stattfinden, so würden sie vorgeben, es handele sich um eine entflohene Geisel des Cäsars. Vinicius würde sich dann der Wache zu erkennen geben und deren Hilfe anrufen.
    Ursus war schon dem Hause nahe, als das Geräusch von Schritten seine Aufmerksamkeit erregte. Da er die beiden Fremden sah, stellte er das Sieb auf das Geländer und wandte sich zu ihnen.
    „Was wollt ihr hier?“ fragte er.
    „Dich!“ sagte Vinicius.
    Dann sprach er zu Kroton mit leiser, hastiger Stimme:
    „Töte ihn!“
    Einem Tiger gleich stürzte sich dieser auf ihn, und ehe der Lygier einen Gedanken fassen und seine Feinde erkennen konnte, hatten Krotons stählerne Arme ihn gefaßt.
    Vinicius vertraute auf des Mannes außerordentliche Stärke und wartete den Ausgang des Kampfes nicht ab. Er eilte nach der Tür des kleinen Hauses, stieß sie auf und fand sich in einem etwas dunklen, nur durch ein im Kamin brennendes Feuer beleuchteten Raum. Ein Schimmer des Feuers fiel auf Lygias Antlitz. Auch jener Alte, der das Mädchen und Ursus auf der Straße vom Ostrianum begleitet hatte, saß beim Feuer.
    Vinicius stürzte herein, ergriff Lygia, hob sie empor und wandte sich der Tür zu. Der Alte versperrte zwar den Weg; er aber preßte das Mädchen mit dem einen Arme an sich und schob ihn mit dem anderen auf die Seite. Dabei entfiel ihm die Kapuze, und Lygia sah in das ihr wohlbekannte und in diesem Augenblick so schreckliche Gesicht. Das Blut erstarrte ihr in den Adern, und die Stimme erstarb ihr in der Kehle. Umsonst bemühte sie sich, um Hilfe zu rufen, umsonst suchte sie die Türpfosten zu ergreifen und Widerstand zu leisten. Ihre Finger glitten über die Mauer, und fast wäre sie ohnmächtig geworden bei dem schrecklichen Bilde, das sich ihr draußen im Garten darbot.
    Ursus hielt Kroton in seinen Armen; dessen Haupt war herabgesunken, sein Mund mit Blut gefüllt. Als er die beiden erblickte, versetzte er Kroton einen letzten Schlag, und im nächsten Augenblick sprang er wie eine wütende Bestie auf Vinicius zu.
    „Das ist mein Tod!“ dachte der junge Patrizier.
    Dann hörte er wie im Traum den Schrei Lygias: „Töte ihn nicht!“ Er fühlte, daß ein wie mit einem Donnerkeil geführter Schlag ihm die Arme auseinanderriß, in denen er Lygia hielt.
    Dann schien sich die Erde um ihn zu drehen, und das Tageslicht erlosch in seinen Augen.
    Chilon hielt sich in der Nähe des Eckhauses verborgen und wartete ab, was geschehen würde, während Neugier und Furcht sich in ihm stritten. Sollten sie Lygia im ihre Gewalt bekommen, dachte er, so würde er in Vinicius’ Nähe sicher sein. Ursus fürchtete er nicht mehr, denn er war dessen gewiß, daß Kroton ihn töten würde. Und, so berechnete er weiter, sollte ein Auflauf in den bisher menschenleeren Straßen entstehen, sollten Christen oder anderes Volk Widerstand leisten, so wollte er, Chilon, als eine Obrigkeit, als ein Beamter des Cäsars auftreten und nötigenfalls die Vigilen für den jungen Patrizier um Hilfe anrufen; dies würde ihm selbst neue Gunst erwerben. Das Vorgehen des jungen Tribuns schien ihm unweise; doch meinte er, Krotons schreckliche Stärke könne einen guten Erfolg

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