Rabenblut drängt (German Edition)
wenigen Augenblicken und seufzte.
» Ist ein schöner Mann, nicht?«
»Ja ... sicher. Ich meine, wenn man auf dunkle Typen steht«, versuchte ich meine Antwort zu relativieren.
Nach kurzer Zeit kam der Eremit aus dem Zimmer heraus. Ich war einigermaßen erleichtert. So schlimm waren die Sachen nun doch nicht, wenn ich auch das untrügliche Gefühl hatte, dass Jeans nicht zu seiner bevorzugten Garderobe gehörte. Denn er trug sie nicht so zwanglos, wie diesen dunklen Morgenmantel, als wäre ihm das Gefühl auf der Haut ungewohnt.
»Müssen Sie noch etwas aus Ihrem Zimmer holen? Irgendwas einpacken?«, fragte ich.
»Nein, ich besitze nichts«, erwiderte er kurz, und ich wunderte mich über diese seltsame Wortwahl.
»Die Schwester hat gesagt, dass Sie in drei Tagen zum Verbandwechsel wiederkommen müssen.«
Keine Antwort.
Na toll. Erwartete er etwa von mir, dass ich das alles für ihn regelte? Das konnte ja heiter werden. Ich marschierte über den Gang zu den Aufzügen und drückte direkt alle Knöpfe, die zur Verfügung standen. Der Eremit bewegte sich unbehaglich neben mir.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir die Treppe nähmen?« Er kam ins Schwitzen und rieb sich mit der rechten Hand über die Nasenwurzel.
»Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich besser die Schwester rufen?«
»Nein, nein!«, wiegelte er ab. »Es ist nur - ich vertrage das Aufzugfahren nicht besonders gut.«
Dann also die Treppe. Warum drückte er sich nur so umständlich aus? Bestimmt war er nur wenige Jahre älter als ich, und trotzdem redete er wie mein eigener Opa.
Ich war froh, das Krankenhaus mit seinen Gerüchen nach Desinfektionsmittel und Körpersekreten zu verlassen. Draußen präsentierte sich der Himmel im typischen November-Einheitsgrau. Ich schloss den Suzuki auf. Der Eremit zögerte beim Einsteigen, atmete dann aber tief durch und setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Alles Okay mit Ihnen?«
Er nickte bloß, und ich ärgerte mich, dass ich nicht einfach mal die Kappe halten konnte. Langsam fuhr ich aus der Parklücke, griff nach vorne und drehte die Heizung voll auf. Neben mir Schweigen. Auch gut. Ich schaltete das Radio ein und sofort schepperte ein alter Guns ’n’ Roses - Song aus den Boxen. Der Eremit neben mir stöhnte und ich stellte das Radio wieder aus. Anscheinend waren seine Ohren immer noch ziemlich empfindlich.
»Können Sie sich an mich erinnern?«, fragte ich und hätte mir im selben Moment die Zunge abbeißen können. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass er mich musterte, aber er sagte nichts. Vielleicht war er so in Gedanken versunken, dass er die Frage gar nicht gehört hatte. Hoffentlich.
An der Auffahrt zur Autobahn beschleunigte ich. Das Auto war nicht besonders gut isoliert und dröhnte. Bei einem vorsichtigen Blick zur Seite sah ich, dass der Eremit die rechte Hand krampfhaft um den Türgriff geschlossen hatte. Er starrte stur geradeaus.
Wurde ihm vielleicht schlecht? Ich gab etwas weniger Gas und hielt den Wagen gleichmäßig im Fluss. Aber sein ohnehin schon weißes Gesicht sah gespenstisch blass aus. Ich entschied, ihn diesmal nicht nach seinem Befinden zu fragen und bremste langsam ab. Es war nicht viel Verkehr auf dieser Strecke, also ließ ich das Auto auf dem Seitenstreifen ausrollen. Der Eremit rührte sich nicht, deshalb beugte ich mich halb über ihn, stieß die Autotür auf und schubste ihn an. Er erwachte aus seiner Starre und kletterte umständlich nach draußen. Als ich meine Fahrertür aufriss, hörte ich ihn auch schon würgen.
Er erbrach sein Frühstück auf den schmalen Grasstreifen neben der Fahrbahn. Sein Gesicht war schweißnass und das Haar bedeckte seine Augen. Unwillkürlich fasste ich nach seiner Stirn. Sie fühlte sich glühend heiß an. Ich wollte meine Hand gerade wegziehen, da presste er sie an sich, als würde ihm das Linderung verschaffen . Und weil ich sonst beinahe umgekippt wäre, kniete ich mich neben ihn und flüsterte tröstende Worte in sein Ohr.
Langsam beruhigte sich sein Magen wieder.
»Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Autofahren auch nicht so gut vertragen?«, fragte ich.
Aber statt einer Antwort sagte er nur: »Ich erinnere mich an Ihre Augen.«
Also hatte er die Frage eben wohl doch gehört. Ich zog meine Hand fort. »Wenn das so ist, dann können wir jetzt wohl Du sagen, oder? Ich bin Isa.«
Lachte er? Tatsächlich - die Geräusche, die er da von sich gab, waren unverkennbar ein Lachen.
»Alexej«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher