Rabenblut drängt (German Edition)
mich, stieß meine Arme von mir und schwang mich in die Höhe. Meine Lunge brannte, und mein Hals zog sich in plötzlicher Enge zusammen. Mit einem lauten Schrei machte ich mir Luft:
» Chii! « Es klang wie ein Siegesschrei, weil ich es geschafft hatte, meinen menschlichen Körper zu überwältigen.
Ich ruderte hastig. Mein linker Flügel lahmte und verlor viel zu schnell an Kraft. Ich ließ mich auf dem Ast einer Tanne nieder und schöpfte Atem. Endlich war ich wieder Herr meiner Sinne! Ich zupfte mein Gefieder zurecht und genoss die Wärme, in die es mich bettete. Mein Herz schlug in seinem gewohnten Takt. Alles war schärfer. Wenn auch meine Augen die Dunkelheit nicht bezwangen wie die der Eulen, so konnte ich trotzdem im fahlen Mondlicht jede kleinste Bewegung wahrnehmen. Als Mensch war das nicht möglich, weil mein Gehirn die Lücken schloss wie bei einem Daumenkino. Aber als Rabe sah ich jedes noch so winzige Flattern oder Flimmern. Ich hüpfte seitlich den Ast entlang und stellte befriedigt fest, wie beweglich und leicht ich war.
So war ich gedacht. So ließ es sich aushalten - allerdings nur, wenn man keinen Hunger hatte.
Lustlos pickte ich an der Baumrinde herum, denn ich wollte etwas Fleischiges auf meiner Zunge schmecken. Ich flatterte zu Boden und mein Gleichgewichtssinn funktionierte einwandfrei. Welcher Unterschied zu meinen ersten Gehversuchen im Krankenhaus!
Gemächlich schritt ich aus und hielt nach Kleingetier Ausschau. Doch nichts lockte mich. Also schwang ich mich erneut in die Luft, ruderte und rotierte wie eine orientierungslose Biene, die man aus ihrem Glasgefängnis befreit hatte. Mein linker Flügel spreizte sich seltsam von meinem Körper ab und pochte schmerzhaft. Enttäuschung drohte mich zu überwältigen. Hatte ich denn erwartet, meine Verletzung mit den menschlichen Gliedern einfach abschütteln zu können? Welche Dummheit! Sinnlos war es ohnehin, jetzt nach meinem Schwarm zu suchen. Um diese Zeit schliefen wir normalerweise längst in einer hohen Fichtenkrone. Es wäre wesentlich leichter, Laszlo, Darius und die anderen bei Tage zu finden. Sicher suchten sie auch nach mir. Und diese Frau - Isa - suchte nach Tierspuren. Ich könnte mich ihr anschließen und ihr dabei helfen, überlegte ich. Umso schneller würde ich auch zu meinem Schwarm zurückfinden.
Mit dieser neuen Hoffnung ließ ich mein Rabenkleid ernüchtert von mir herabrieseln und begutachtete die Wunde an meinem Arm, deren Verband ich natürlich verloren hatte. Die Naht schien fest, allerdings trat an einer Stelle Wundsekret aus und nässte meine Haut.
Meine Sachen fand ich unter dem Baum im Laub verstreut. Anscheinend hatten Tiere darin gewühlt. Ich stieg in die steife Hose und klemmte mir den Pullover unter den gesunden Arm. Mir war furchtbar heiß und ich fragte mich, weshalb es nur so lange dauerte, bis sich mein Stoffwechsel von selbst regulierte.
Gedankenverloren betrat ich das Haus.
Wäre ich wachsamer gewesen, hätte ich bemerkt, dass die Tür geschlossen war, obwohl ich sie nur angelehnt hatte. Aber vielleicht hätte ich mich auch damit beruhigt, dass der Wind sie zugedrückt haben könnte. Mein kleiner Ausflug hatte mich hungrig gemacht und mein Gaumen gierte immer noch nach Fleisch. Ich ging in die Küche, warf meinen Pullover auf einen Stuhl und durchsuchte den Kühlschrank nach Essbarem. Das Licht erhellte den Raum nur bis zu meinen Füßen. Im untersten Fach fand ich, was ich suchte. Ich griff nach einem Behälter, der herrlich frische Steaks enthielt - das war nun wirklich Aas der köstlichsten Art. Ich zog eines der großen, rohen Stücke heraus und biss herzhaft zu.
Im selben Moment hörte ich hinter mir ein Hüsteln und erstarrte. Dort saß jemand im Dunkeln, jemand, der mich beobachtet hatte.
»Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe.«
Ein Feuerzeug flammte auf und entzündete ein Teelicht. Mit angezogenen Beinen saß Isa auf einem der Küchenstühle und balancierte einen Suppentopf auf ihren Knien. Das gelbe Licht berührte kaum ihr Gesicht, trotzdem sah ich, dass sie lächelte.
»Ich hatte Hunger.« Ihre braunen Augen funkelten. »Ich dachte auch, ich müsste in diesen Topf springen, um nach einem Stück Fleisch zu tauchen, aber auf die Idee, das Zeug roh zu essen, bin selbst ich noch nicht gekommen.«
Im ersten Moment war ich sprachlos und überlegte, ob ich lügen sollte. »Das war auch mein erster Versuch«, sagte ich lahm.
»Sicher.«
Offensichtlich glaubte sie mir kein
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