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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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angerufen.«
    »Ich erinnere mich an Sie. War ganz schön aufregend, als Sie ihn hergebracht haben, nicht wahr?« Sie spitzte die angemalten Lippen.
    Aufregend? Das war eigentlich nicht das Wort, das ich gewählt hätte. Erschreckend, Angst einflößend, ja. Aber aufregend? Ich senkte betreten den Kopf, dann hielt ich ihr die Klamotten hin. Sie nahm sie kommentarlos und führte mich denselben Gang wieder zurück.
    »Herrn Nepovím geht es sehr gut. Die Bisswunde hat sich nicht entzündet. Er hat noch Schwierigkeiten mit der Feinmotorik, aber er kann den Arm schon ganz gut bewegen. Allerdings hatte er die ersten Tage ziemliche Gleichgewichtsprobleme, konnte kaum einen Schritt gehen, ohne umzufallen. Aber beim Hörtest war alles unauffällig.«
    Ich nickte ihr interessiert zu.
    »Das heißt, unauffällig eigentlich nicht.« Sie überlegte einen Moment. »Seltsam ist, dass er bestimmte Symptome einer Schwerhörigkeit aufweist. Wir nennen das Recruitment . Das bedeutet, dass er sehr empfindlich auf Geräusche reagiert. Normalerweise tritt so etwas bei alten Menschen auf, die gleichzeitig bis zu einer bestimmten Lautstärke sehr schlecht hören. Das ist aber bei ihm nicht der Fall. Also laut HNO-Arzt eine sehr seltsame Kombination. Für die Abwehrreaktion bei der Bluttransfusion haben wir bis heute auch keine Erklärung gefunden. Man müsste vielleicht ausführlichere Tests durchführen. Könnte auch mit irgendwelchen Anomalien zu tun haben, die noch nicht so genau erforscht sind. Aber Doktor Pražák meint, es müsse wohl nicht für alles auf der Welt eine Erklärung geben. Hat er eigentlich recht, nicht?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern öffnete nach kurzem Klopfen eine der vielen Türen.  
    »Er ist schon wieder ausgeflogen«, stellte sie nach einem knappen Blick fest. »Dann finden wir ihn bei unserer Madame .« Sie beugte sich verschwörerisch zu mir.  
    »Das ist eine alte, schrullige Dame. Bevor Herr Nepovím hierher kam, hatten wir ganz schöne Probleme mit ihr, aber die zwei haben sich inzwischen angefreundet. Sitzen den ganzen Tag zusammen und spielen Schach.« Sie grinste und zeigte dabei eine Reihe vergilbter Zähne, was so herrlich sympathisch war, dass ich ihr Lächeln einfach erwidern musste.
    Dann steuerte sie eine weitere verschlossene Tür an. Vor Nervosität war mein Hals völlig ausgetrocknet, dafür aber meine Hände feucht. Eigentlich albern, immerhin war ich eine erwachsene Frau von vierundzwanzig Jahren, da sollte man über ein bisschen mehr Selbstbewusstsein verfügen. Die Schwester klopfte und drückte im selben Moment die Klinke hinunter. Mein Blick fiel direkt auf eine weißhaarige Dame in seidenem Morgenmantel. Ihr gegenüber, mit dem Rücken zu mir, saß der Eremit. Er trug einen Morgenrock und hatte die Beine leger übereinandergeschlagen. Die Dame sagte etwas auf Französisch, und erst jetzt drehte sich der Eremit zu uns um. Im selben Moment wurde mir bewusst, wie furchtbar er in Mareks alten Jeans, dem Strickpullover und den weißen Turnschuhen aussehen würde.
    Mit einer nonchalanten Bewegung strich er sich gerade einige dunkle Strähnen hinter das Ohr, aber sie fielen sofort wieder in seine Stirn zurück. In seinem blassen Gesicht glänzten dunkelblaue Augen mit einem dichten, rabenschwarzen Wimpernkranz. Und er lächelte. Himmel, wieso lächelte er denn so? Hatte Schwester Tereza etwas gesagt? Mir schoss das Blut ins Gesicht.
    Tief durchatmen!
    Ich folgte der Schwester ins Zimmer und begrüßte erst einmal die alte Dame. Ihre Hände waren kalt und sehr knochig, aber sie übte einen starken Druck aus und sprach mich auf Tschechisch an. Dann reichte ich auch dem Eremiten die Hand, ohne ihn anzusehen. Seine war sehr warm, berührte mich aber nur so kurz, dass ich nicht einmal sagen konnte, ob er einen festen Händedruck besaß oder nicht.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie so freundlich sind, mich abzuholen.«
    Er sprach Deutsch! Ich war so erstaunt, dass ich nur undeutliches Zeug murmeln konnte und dann verlegen auf die Plastiktüte deutete, die Schwester Tereza ihm hinhielt. Wie peinlich mir jetzt diese Klamotten waren! Marek, ich muss dringend mit Dir über Deine Garderobe reden!  
    »Ich werde ein paar Minuten benötigen, um mich umzuziehen.«
    Er hatte eine dunkle, warme Stimme und rollte das ›R‹ auf sehr charmante Weise.
    »Würden Sie so lange auf mich warten?«
    Ich nickte und war froh, als ich das Zimmer wieder verlassen konnte. Schwester Tereza folgte mir nach

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