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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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helfen könne. »Meine Herrin beherrscht Magie jenseits unsrer Vorstellungskräfte.« Doch dann stockte sie. »Allerdings hat sie noch nie einen Mann zu den heiligen Mysterien vorgelassen …« 
    »Dann versuche, sie zu überreden«, ereiferte sich Henfir. 
    Der Trollkönig lenkte ernst ein: »Versucht, was ihr könnt, ihn zu retten. Nehmt die Nordmannsfluch « – nach dem Sieg über die Nordmänner hatte der König das mächtige Schiff Sklavenbringer umgetauft – »und die Männer, die ich ihm versprochen habe.« Stille trat ein. Die Anwesenden starrten bedrückt auf die traurige Lagerstatt oder ins Leere. Ungemütlich straffte der König seine Haltung, ehe er weitersprach. »Bedenkt: Wir wissen nicht, ob er den Stein gefunden hat. Doch sprechen die Begebenheiten, von denen ihr berichtet habt«, er runzelte die Stirn in Richtung Henfir und Rhoderik, »eine deutliche Sprache. Wir müssen davon ausgehen, dass der Lia Fail in die Hände unsrer Feinde gefallen ist.« 
    Orthan, der merkte, wie sein Herr sich dagegen sträubte, in dieser Situation über taktische Manöver zu reden, nahm ihm die Bürde ab. Er bestand darauf, die anderen ins Drudenland zu begleiten und von dort aus über Boten mit Skaarbrok in Verbindung zu bleiben. »So oder so«, beendete Heilwig das Gespräch in seiner gewohnt über den Dingen stehenden, wohlüberlegten Stimme, »seid auf der Hut. Die Welt ist im Wandel begriffen. Der Geruch von Flammen und Blut liegt in der Luft.« 
     
    *** 
     
    Zwei Sonnenläufe später lief die Nordmannsfluch in eine farbenprächtige Morgendämmerung aus. Ihre Besatzung bestand aus den restlichen brisakschen Soldaten, den Matrosen, die unter dem Kommando Henfirs gesegelt waren, und den zwei Dutzend Kriegern, die Lou an Kraehs Stelle ausgewählt hatte. Unter ihnen war auch der Veteran Luitbrecht und ein Minotaur, den Goldhorn als einen der besten Axtschwinger empfohlen hatte. Orthan hielt den Kranken mittels Zaubersprüchen am Leben, was sichtlich an den Kräften des Magiers zehrte. Wenn er einmal zu Rhoderik und Henfir an den Bug trat, um mit ihnen das schäumende Meer nach Schiffen abzusuchen, wirkten seine schiefen Augen noch wässriger als sonst. 
    Einen Kapitän im eigentlichen Sinne gab es nicht. Lou koordinierte die Männer, wobei ihr ein in die Jahre gekommener Seebär tatkräftig zur Seite stand. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihre Gefühle gespalten waren. Einerseits freute sie sich, endlich wieder nach Hause zu ihrer geliebten Königin und ihren Schwestern zu kommen, andererseits weilte ihr Geist unter Bord bei Kraeh, dessen Krankenlager sie aus Scham kein einziges Mal aufgesucht hatte, und bei Sedain, der irgendwo auf dem Weg in das Herz des Feindeslandes war. 
    Auch nach Tagen auf See konnte der Magier nicht genau bestimmen, worunter sein Patient derart litt. Die Erfrierungserscheinungen waren geheilt und dennoch schlug er die Augen nicht auf. Seit die Fieberkrämpfe gewichen waren, hatte er kein einziges Wort mehr von sich gegeben. Allein sein schwerer Atem verriet, dass er noch im Diesseits weilte. Niemand sprach es aus, aber alle dachten dasselbe: Was auch immer er hinter dem Styx vorgefunden hatte, es musste zu viel für einen Sterblichen gewesen sein; sein Geist schien an einem Ort gefangen, von dem es keinen Ausgang gab. 
     
    Unweit des Ziels ihrer Reise, in der großen Halle von Brisak, spielte sich eine Szene ganz anderer Art ab. Der Seher, zuvor gebunden und unfrei, war zu neuem Leben auferstanden. Und Bran, dem die anhaltenden Schreie aus den Kellergewölben die letzten Nächte den Verstand zu rauben gedroht hatten, war ebenso erstaunt wie erfreut über die menschliche Gestalt, die sein düsterer Verbündeter nun angenommen hatte. Sofort waren die Bilder von an Ketten zusammengebundenen Menschen, wie sie erbärmlich flehend durch seine Feste getrieben wurden, um dem Ritual als Opfer zu dienen, vergessen. 
    Schnell erhob er sich von seinem Thron, als die durchweg geschmackvolle Erscheinung des Sehers erschien, der seine alte, schwarze gegen eine leicht fließende, blaue Robe getauscht hatte, an deren Rändern goldbestickte Borten angebracht waren. Sein strenges Kinn war, ebenso wie Hals und Wangen, von grauen Stoppeln bedeckt. Die Nasenflügel waren geschwungen, aber nicht zu breit, die Stirn hoch und von kleinen Fältchen durchzogen wie jene, die sich, wenn er ein süffisantes Schmunzeln aufsetzte, an den Enden der geraden Linie seiner vollen Lippen bildeten. Er war von

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