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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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Miersnick?«, platzte es aus dem vorlauten Jungen namens Fried heraus und riss den Greis damit aus seiner Erzählung. 
    Schnell legte sein Sitznachbar ihm die Hand vor den Mund, schaute aber erwartungsvoll, ob der Alte auf die Fragen antworten würde. 
    Wütend schnalzte der Ohm mit der Zunge und schenkte Frieds vor Spannung weit offen stehenden Augen einen zurechtweisenden Blick. Natürlich war die Empörung nur vorgetäuscht. Er hatte ohnehin vorgehabt, an dieser Stelle eine Pause einzulegen. Umso rascher hellten sich seine faltigen Züge wieder auf. Fried, dem langsam die Hand vom Mund genommen wurde, erwiderte das schelmische Lächeln des Alten, als ihm die Farce aufging. 
    Eine Frau, die weniger aufgeweckt war als der Junge, wickelte sich aus der Decke, in die sie sich gekuschelt hatte, stand auf und ging zu der in einer Ecke des Versammlungshauses glühenden Feuerstelle. Den Ohm zu besänftigen, nahm sie die seit Langem schon vor sich hin köchelnde Kürbissuppe vom Rost und schöpfte sie in hölzerne Schälchen. Die erste reichte sie ihm, dann verteilte sie die restlichen unter der anwesenden Dorfgemeinschaft, während der Greis, immer noch leichte Missbilligung vorspielend, auf die Fragen einging. 
    »Was Berbast damals zum Präsent gemacht wurde, werdet ihr noch früh genug erfahren, keine Sorge …« Nachdem er den ersten Löffel von der Suppe geschlürft hatte, entschied er, dass sie ihm noch zu heiß war, und stellte den dampfenden Napf neben sich auf den Boden. »Über den Ursprung der Krankheit Kraehs gab es, wie gesagt, vor allem im Nachhinein alle möglichen Spekulationen. Zum Beispiel auch diese: Wer immer seinen eigenen Tod gesehen habe, könne nicht mehr gesund leben.« Der Alte gluckste. »Soweit ich weiß, hat Kraeh nie verstanden, weshalb jene Todesvision so einen hohen Preis darstellen sollte. Im Gegenteil, in manchen Situationen war er vielleicht nur deshalb so mutig, weil er sich sicher war, auf diese Weise nicht enden zu können. Nein. Ich für meinen Teil denke, die Erklärung ist ganz banal. Er hatte sich schlicht erkältet. Versteht mich nicht falsch, Orthan war ein großer Magier, aber auch für einen solchen ist es kein Leichtes, jemanden wiederherzustellen, der schon fest im Griff des Todes ist. Vielleicht war er auch wirklich von den Nornen verflucht … das spielt keine Rolle. Ob ihm schließlich geholfen wurde«, er zwinkerte dem Jungen zu, »wird sich ebenfalls bald klären. Von Miersnick allerdings habe ich nie wieder etwas gehört oder gesehen. Auch später sind mir keine Berichte über ihn zu Ohren gekommen.« 
    Die kleine Kaila klatschte in die Hände, um eine Katze zu verscheuchen, die sich gerade an der Suppe des Ohms zu schaffen machen wollte. Liebevoll tätschelte er den Kopf des Tieres, das sich daraufhin zufrieden schnurrend an der Seite des Alten zusammenrollte. 
    Vielen war der Erklärungsbedarf einiger Stellen seines Vortrags anzumerken, doch Hegferth, der Skalde, kam jenen, die noch nachdachten, zuvor. Er hub jedoch so an, dass er die meisten Einwände der anderen, die er allzu gut kannte, im Vorfeld ausräumte. 
    »Weder möchte ich von dir erfahren, was diese Episode mit dem Bären zu bedeuten hat – ich gehe davon aus, du würdest dich weigern, sie für uns zu deuten … womöglich wird sie dem ein oder anderen bei genauerem Nachdenken klarer –, noch wollen wir uns mit den Beziehungsvorstellungen zwischen Mann und Frau aufhalten, die stark von denen unsrer Tage abweichen.« Ein frisches Pärchen wirkte enttäuscht, vor allem dessen männlicher Part. Er war ein Jäger, der noch im Nachbardorf, das etliche Tagesmärsche entfernt lag, als Schönling und Herzensbrecher bekannt war. 
    »Mein brennendstes Interesse gilt allein einer Frage und ich bitte dich, mir in dieser Sache nicht allegorisch oder ironisch zu begegnen … Mir obliegt es, diesen Menschen«, er machte eine Geste, die alle Anwesenden einschloss »ihren Glauben an die Götter zu bewahren. Sie anzuhalten, nach reicher Ernte dankbar zu sein, bei Leid um Beistand zu beten, um die Verstorbenen zu trauern und zu Sodenhain auf sie zu trinken. Sage ihnen, dass das, was du über die Götter und Schicksalsgöttinnen gesagt hast, bildlich gesprochen war.« Ein Beigeschmack von Wut, gepaart mit aufkeimender Verzweiflung, mischte sich seinen Worten bei. Offenkundig warf er dem Greis, zwar respektvoll, aber unüberhörbar, Verantwortungslosigkeit vor. Außerdem sah er seine Predigten, ja seine ganze

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