Rabenflüstern (German Edition)
gewaltsamen Todes. So jäh, wie der Angriff stattgefunden hatte, zog sie ihre Hände von ihm zurück. Er brach zusammen und er glitt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, die Wand hinab, wobei die Parierstangen seiner Schwerter an der Höhlenwand ein hässliches Geräusch verursachten.
Wie er den Weg zurück geschafft hatte, konnte er im Nachhinein nur schwer rekonstruieren. Er musste, einem wandelnden Toten gleich, den Tunnel erklommen haben, strauchelnd aus der Höhle getreten sein, den Marktplatz überquert und den Weg zum Ufer gefunden haben, bis er schließlich irgendwie bei der wartenden Barke angelangt war. Der Fährmann, daran konnte er sich später erinnern, hatte ihm nicht einmal die Sanduhr gezeigt, sondern hatte ihn wortlos, wie bei der ersten Überfahrt, ans andere Ufer gefahren, wo er mehr tot als lebendig an Land gewankt und nach wenigen Schritten, den Stein fest in der Hand umklammert, in den Schnee niedergefallen und liegen geblieben war.
***
Es war Morgen geworden. Ein strenger Wind vertrieb die diesigen Schwaden, die Fluss und Wald im Zwielicht gefangen gehalten hatten, und streifte den Rücken des noch halb träumenden Kriegers. Dennoch sah Kraeh keine Sonne, als er die Augen aufschlug. Sie blieb versteckt, weit hinter den im Winterschlaf harrenden Wipfeln der Bäume und den vorüberziehenden Wolkenbänken, die sich an dunklem Grau zu übertreffen suchten. Mühevoll hievte er seinen Oberkörper in die Senkrechte, seine Muskeln ächzten gleich den zeternden Ästen der Baumriesen. Er drehte den Kopf in die Richtung, in der er den Styx vermutete, doch der war verschwunden. Statt des unheimlichen Flusses reihte sich nun Stamm an Stamm auf vereister Erde. War es überhaupt derselbe Wald? In einem Anflug von Furcht hob er die Linke und stellte beruhigt fest, dass der Stein noch in seiner gefühllosen Hand lag. Er zitterte – ein gutes Zeichen, wusste er doch, dass sein Körper den Kampf gegen die Kälte noch nicht aufgegeben hatte. Sein ganzes Empfinden war dumpf. Eine ferne Erinnerung an Gefühl und Tastsinn kehrte zurück, als er abwechselnd in die geschlossenen Fäuste atmete.
Und plötzlich geschah es.
Unfähig sich zu rühren, ruhte sein Blick auf einer Stelle, an der sich Rauch bildete. Zuerst dünn in schwachen Kreisen, dann immer stärker zirkulierend und an Substanz gewinnend, bildete sich eine Säule dichten Qualms, keine fünf Schritte von ihm entfernt. Blitzende Linien durchzuckten die Erscheinung und schließlich, als der Rauch sich verflüchtigte, erkannte er die durch Zauberhand gewirkte Manifestation: ein riesenhafter goldener Kessel, auf dem Götzenbilder und Runen eingraviert waren. Aus ihm ragten Kopf und Schulteransatz des Sehers. Gedächtnisfetzen suchten seinen eh schon dröhnenden Schädel heim. Einzig festhalten konnte er, dieser Gestalt nicht zum ersten Mal zu begegnen. Den lippenlosen Mund zu einem sardonischen Lächeln verzerrt, stieg sie vollends aus dem Kessel und schritt, die lange Robe hinter sich über den Boden schleifend, zu dem Krieger und beugte sich zu ihm hinab. Das eine Auge unmittelbar vor Kraehs Gesicht, schloss der Unheimliche eine krallenbewehrte Hand um die, in der sich der Lia Fail befand. Aber noch übte er keinen Druck aus und einen Augenblick lang sahen sie sich einfach nur an. Die Klingen auf seinem Rücken schienen Kraeh unerreichbar fern. Nein, an Kampf war nicht zu denken. Als hätte er seine Gedanken gelesen, sprach der Seher ihn an, wobei seine Stimme nicht zu seinem Äußeren passen wollte. Sie klang weich, auf sonderbare Weise rücksichts-, ja sogar verständnisvoll. »Bran hat gut daran getan, dich mit dieser Aufgabe zu betrauen, das macht es mir leichter.« Sein Griff wurde fester. »Jetzt gibst du ihn mir, aber wisse: Du bist jederzeit in Brisak willkommen und mehr als das. Du wirst unsre Armee in die Schlacht führen und dein Name wird für Jahrtausende in aller Menschen Munde sein.«
Trotz der verlockenden Worte presste der Krieger die Hand so krampfhaft zusammen, dass die blauen Adern auf dem Handrücken unter der Anstrengung hervortraten. Schlagartig fiel die Sanftmut von dem Seher ab und machte einem Anflug von Zorn in dem einen Auge Platz. Kraeh war schleierhaft, weshalb der Seher überhaupt Argumente und Lockungen anführte, anstatt gleich Gewalt anzuwenden, worauf es zweifellos hinauslaufen würde. Angewidert zog das Ungeheuer seine widernatürliche Hand zurück. »Schau dich an, große Kriegskrähe! Ein
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