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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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Erden in die braunen Augen, nicht um ihn zu reizen, sondern um seinem Gemüt die Gelegenheit zu bieten, sich abzukühlen. 
    Diese Strategie zeitigte früher Erfolg, als er angenommen hatte. »Natürlich gewähren wir dir trotzdem Gastrecht«, sagte Erden schon weniger aufgebracht, »aber glaube nicht, dass wir dich als großen Befreier feiern …« 
    Kraeh wartete noch einen Moment, bis das Horn ihn erreicht hatte. Er nahm einen Schluck und gab es weiter. Endlich hub er an: »Vieles von dem, was du sagst, ist wahr. Ich bin bei Weitem nicht auf alle meine Taten stolz. Für das Gastrecht spreche ich dir und euch allen meinen Dank aus. Von niemandem verlange ich Freundschaft – oder gar Huldigung. Mir geht es alleine darum, wer mit mir im Schildwall steht, wenn es um die Zukunft der Welt geht, und es wäre mir eine Ehre, einen jeden in diesem Raum an meiner Seite zu sehen.« 
    »Ich werde bei dir sein«, rief der Nordmann begeistert aus. 
    »Sei nicht zu voreilig, mein Freund«, wies Kraeh ihn zurecht. 
    »Erden hat recht. Viele, womöglich alle, die diesem fürchterlichen Feind die Stirn bieten, werden fallen. Eines jedoch verspreche ich euch: Sollten wir die Schlacht verlieren, werde ich diesmal nicht mit heiler Haut davonkommen.« 
    Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Im Prinzip ist es völlig einerlei, wer dann noch lebt. Falls wir unterliegen, wird die Welt, wie wir sie kennen, aufhören zu existieren. Niedswar wird einen Ort aus ihr machen, wie ihr ihn euch in euren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen könnt. Daher ist mein Versprechen höchst egoistisch. Ich sterbe lieber, als mich versklaven zu lassen.« 
    Undeutliches Gemurmel erhob sich auf der anderen Seite des Zeltinneren. Dorla forderte die Fremden auf, sie mögen hinausgehen, während die Stammesoberhäupter sich berieten. 
    Es hatte aufgehört zu regnen. Banden von Kindern tummelten sich spielend auf den freien Flächen zwischen den Zeltabspannungen. Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Männer und Frauen schafften Holz herbei und schichteten es in ausgehobenen Feuerstellen. 
    Bald schon drehten sich Hasen und Hühner an Bratspießen befestigt über heruntergebrannten Feuern. Kartoffeln und Pilze wurden auf Rosten gebraten und verströmten einen herrlichen Duft, als man Orthan, Gnadnit, Henfir und Kraeh, die beklommen, still und gedankenverloren in die Glut blickten, wieder ins Ratszelt bat. 
    Alle bis auf die Geistfrau standen breitbeinig da, die Hände an Waffengriffen und Trinkhörnern. Erden schürzte die Lippen, schwankte umständlich zu den Eingetretenen und klopfte Kraeh auf die Schulter. »Du verdammter Bastard«, sagte er heiter und aus seinem Mund klang es merkwürdigerweise wie ein Kompliment. »Wie werden kämpfen.« 
     
    *** 
     
    Bei Wintereinbruch zogen die um Erden und Dorla zu einer Art Großfamilie vereinten Sippen weiter.  
    Der Weg in die Berge war beschwerlich. Kinder und Alte zwangen sie zur Langsamkeit. Hinzu kam, dass Bran und Niedswar sich nicht an die üblichen Spielregeln hielten – niemand führte in der kalten Jahreszeit Krieg. Doch immer wieder trafen Erdens Späher auf brisaksche Regimenter, die die Gebiete durchkämmten oder Passwege bewachten. 
    Die Winde wurden kühler, oft peitschten Schneeböen gegen Ross, Wagen und die geröteten Gesichter. Allein den Heilkünsten Orthans und denen der Geistfrau war es zu verdanken, dass alle die lange Reise überstanden. Das Versteck war ideal: ein im Tal gelegenes, verlassenes Dorf, an dessen östlichem Rand ein Gebirgsbach vorbeiplätscherte. Einer von Erdens Männern erklärte, eine Seuche habe hier vor einigen Jahren gewütet und seitdem hätte niemand mehr gewagt, einen Fuß in den Talkessel zu setzen. In geübter Sorgfalt wurden die Wagen abgeladen, Zäune für das Vieh ausgebessert und die schlichten Wachtürme getarnt. Kraeh tat, was immer ihm aufgetragen wurde, hackte Holz, schleppte Wassereimer und ging mit Dorla auf Kräutersuche. Letzteres gehörte zu seinen liebsten Beschäftigungen. Obwohl es Augenblicke gab, in denen sie, wie bei ihrer ersten Begegnung, unheimlich auf ihn wirkte, sog er ihr umfangreiches Wissen über Pflanzen und Kräuter mit wachsendem Interesse in sich auf. Kein Strauch, keine Beere, kein Halm, merkte er bald, der nicht einen bestimmten Zweck erfüllte, kein Baum, der nicht seine eigene Geschichte zu erzählen wusste. Natürlich sprachen sie auch über andere Dinge. An einem feuchtkalten Nachmittag waren sie einmal dem

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