Rabenflüstern (German Edition)
Flusslauf bis ins nächste Tal gefolgt, hatten Wurzeln ausgegraben und ein Stück Fladenbrot vor den Eingang eines Dachsbaus gelegt. Dergleichen tat sie öfters, stets mit einer Formel in einer für Kraeh unverständlichen Sprache auf den Lippen, die sie leise vor sich hin wisperte. Der Krieger vermutete, sie stelle ein Gebet an das Gleichgewicht dar, von dem sie viel und leidenschaftlich redete. Einmal bemerkte sie gar, auch Niedswar sei ein wichtiger Teil davon. Allein der Lia Fail in seinem Besitz störe die große Harmonie und bloß deshalb sei es nötig, ihn zu vernichten. Ihre Ansichten waren schwer zugänglich, verworren und voller Widersprüche. Wenn Kraeh sie darauf hinwies, lachte sie laut und ließ ihn ohne Antwort.
»Wie steht es mit der Liebe?«, fragte Kraeh jetzt und rutsche einmal mehr auf einer vereisten Stelle aus, über die sie sicheren Schrittes gegangen war. Er rappelte sich auf. Seine Hände brannten von den vielen kleinen Kratzern, die er sich beim Sturz zugezogen hatte. »Steht sie für die Ordnung oder bringt sie diese durcheinander?«
»Du sprichst von dir und der Drudenkönigin?« Sie lief vor ihm, daher konnte er ihr Gesicht nicht sehen, war sich aber dennoch eines hintergründigen Lächelns sicher, weil sie ihn ertappt hatte.
»Ja«, gestand er, wobei er nach einem Stein Ausschau hielt, der genug Platz für einen sicheren Stand gewährte.
Die Geistfrau drehte sich zu ihm um. »Grundsätzlich gilt: Liebe gibt es nur in der Gegenseitigkeit. Ob sie dich liebt, kannst du folglich mit dir allein ausmachen. Hinzu kommt, dass nur jener von Liebe sprechen kann, der weiß, dass sie ihm schadet … Denn die Liebe verlangt Opfer. – Sieh unter dem Stein nach.«
Verwirrt hob Kraeh den kleinen, vom Wasser umspülten Brocken hoch und reichte ihn ihr. Mit einem Messer schabte sie den grünen Algenbewuchs an seiner Unterseite in ein Beutelchen ab.
»Ich wünschte, sie erschiene nicht zur Schlacht«, sagte der Krieger gedankenverloren.
Ein Schmunzeln umspielte ihre Züge. »Ein sicheres Zeichen für Liebe«, scherzte sie. »Denn ohne die Streitmacht Erkentruds wären wir verloren.«
Für Kraeh war Dorla ein undurchsichtiger Charakter. Es gab kaum einen Moment, in dem er sich sicher war, ob sie Spaß machte, das, was sie dachte, hinter Spaß versteckte oder ihm sagte, was sie für ihn zu hören als notwendig empfand. Frauen … , dachte er und wischte ihre Worte beiseite.
Im Laufe des Winters wurden ihre Spaziergänge seltener. Auch die alltäglichen Arbeiten nahmen allmählich ab, nachdem die anfänglichen Anstrengungen vorüber waren und sie ihr neues Lager eingerichtet hatten. So verbrachten sie den größten Teil der Zeit gemeinsam am Feuer, wo sie sich wärmten und Geschichten austauschten.
Oftmals lief das Erzählen dermaßen ab, dass einer weit ausholend einen Bericht begann, sich in Einzelheiten verlor, woraufhin sein Blick irgendwann den Rat des einhändigen Magiers suchte. Der half zuerst gutmütig mit einigen Schwänken aushalf, bis er am Ende den Faden allein zu Ende spann. Kraeh staunte wieder einmal über den Umfang von Orthans Wissen und über die vielen Details, die er behalten konnte. als er eines Abends seine Schilderung über Rhoderiks Heldentaten übernahm. Wie es üblich war, schmückte er natürlich auch vieles aus. So musste der alte Krieger sich bei der Errettung der Königskinder nicht nur zwei, sondern gleich einem Dutzend Gegner stellen und sein letzter Hieb fällte fünf Dämonen, anstatt einem. Doch keiner von denen, die es besser wussten, berichtigte ihn. Obwohl Kraeh ihm die Übertreibungen, die die Geschichten ausschmückten und auf sonderbare Weise dennoch nicht verfälschten, nicht übel nahm, blieb er an diesem Abend an den Zahlen hängen.
In das Prasseln des Feuers hinein fragte er, wie eigentlich Siebenstreich zu seinem Namen gekommen sei. Erden und seine Mannen erstaunte die Frage, hatten sie den Dänenkönig bisher für eine Gestalt aus dem Reich der Legenden gehalten. Umso erstaunter waren sie, als Henfir und Gnadnit nicht nur seine Existenz bestätigten, sondern sich sogar als seine Gefolgsleute herausstellten . Man konnte die aufkeimende Wut darüber, dass die beiden über ihre wahren Absichten geschwiegen hatten deutlich spüren. Denn sofern den Gastgebern bis dahin bekannt war, befand sich das ungleiche Paar lediglich auf der Flucht. Doch die Wut war bald verflogen, als Orthan in die unbehagliche Stille hinein lang gehütete
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