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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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Sommer altes Mädchen mit flachsblondem Haar und einem ins Auge springenden Leberfleck auf der linken Wange. Die Geistfrau hatte ihr genaue Anweisungen gegeben, wie die verschiedenen Kräuter zu mischen waren, um dem kranken Krieger daraus einen heilsamen Sud zu brauen, bis sie in zwei Tagen wiederkäme. Das Mädchen erledigte alles gewissenhaft, hüllte ihn nachts in Decken und Felle, damit sein Körper das Fieber ausschwitzen konnte. Sie schien sogar Spaß daran zu haben, nicht zuletzt, weil der Nordmann die Kleine mit Geschichten für ihre Fürsorge entlohnte. 
    Nachdem er die scheußlich schmeckende Medizin die Kehle hinuntergespült hatte, fragte er, ob sie spazieren gehen wolle. Das Mädchen zögerte. Dorla hatte nichts von einem Verbot gesagt, andererseits war ihr Patient sichtlich schwach und sie würde ihn vermutlich stützen müssen. Dann fiel ihr aber doch ein Gebot der Geistfrau ein. Der Körper wisse schon selbst, was ihm guttäte, erläuterte Dorla oft in ähnlichen Situationen. 
    »Erzählst du mir, wie du zu der Narbe auf deiner Stirn gekommen bist?« 
    »Natürlich«, antwortete Henfir, schon dabei, sich eine nette Geschichte auszudenken. Immerhin wollte sie bestimmt nicht hören, wie er einmal, bis zum Rand mit Met angefüllt, in geistiger Umnachtung gegen die scharfe Kante eines tief hängenden Hausdaches gelaufen war. Damit war es abgemacht. Tala half ihm auf die Beine, zwang ihn, ein Fell um die Schulter zu legen, dann gingen sie los. 
    Nur kurz unterbrach er die Erzählung von seinem Kampf gegen ein schreckliches Ungeheuer, um den Männern, die die letzte Wache hielten, zu versichern, sie seien bald wieder zurück. Dann fuhr er fort, wie er und das Untier sich in dem Wettstreit überboten, da sie beide um jeden Preis die Gunst einer Dryadenprinzessin zu erlangen suchten. Während Henfir fabulierte, folgten sie einem überwucherten Pfad, störten sich nicht an dem Nieselregen, sondern füllten ihre Lungen mit der frischen Morgenluft und dem unscheinbaren Duft von Veilchen und Glockenblumen. Eine Weile begleitete ein weißer Schmetterling, der etwas verloren über die roten und gelben Blätter schaukelte, ihren Weg. »Ihr Palast war aus purem Elfenbein und ungefähr so groß wie …« Er suchte nach einem passenden Vergleichswert. Schließlich las er eine vertrocknete Eichel vom Boden auf. »… dies hier. Als ich das Ungeheuer erschlagen hatte, den Beweis siehst du heute noch hier«, sagte er, mit dem Zeigefinger auf seine Stirn tippend, »hätte sie mich, nach Dryadenbrauch, eigentlich ehelichen müssen. Aber ich erkannte an der Träne auf ihrer honigsüßen Wange, dass sie einen anderen liebte. Also sprach ich sie von ihrer Pflicht frei und bat allein darum, sie möge mich in meine alte Größe zurückverwandeln …« 
    Henfir brach ab. Jetzt hörte auch die Kleine den Lärm. Irgendwo wurde gekämpft. Entsetzt und mit den schlimmsten Befürchtungen rannten sie zurück. Die Eile brachte den Krieger zum Husten. Selbst aus der Ferne war das Desaster deutlich zu erkennen. Ein ganzes Regiment schwer gepanzerter Soldaten war in das Lager einmarschiert, wo die meisten noch schliefen. Der Krieger wollte losrennen zu der Stelle, an der sein Bogen und Waffengurt lagen, doch Tala machte ihn auf eine Bewegung in einem Busch zu ihrer Linken aufmerksam.  
    »Duck dich!«, herrschte er sie an und auf allen vieren krochen sie vorwärts. Das Mädchen hatte sich nicht getäuscht. Vier Kinder, der Jüngste mochte gerade mal Laufen gelernt haben, verbargen sich dort in dem kleinen Gebüsch, vor dem aufgeschichtetes Feuerholz zusätzlichen Sichtschutz bot. Erstarrt lugte der Krieger durch die Äste. Das älteste der Kinder, ein dunkelhaariger Junge, berichtete stotternd, sie seien von Hufgetrappel erwacht, und als sie die Fremden mit Pfeilen die Wachen niedermachen sahen, habe er seine Schwester gepackt und sie seien hierher gerannt, sich zu verstecken. »Die zwei anderen kamen später«, meinte er noch, aber Henfir war bereits außerstande, ihm zuzuhören. Seine Augen weiteten sich bei dem Schrecken, den er mit ansehen musste, unfähig, etwas dagegen zu tun. Wäre er aufgestanden, den Soldaten die Stirn zu bieten, hätte er die Kinder, die neben ihm auf dem Boden kauerten, ebenfalls dem sicheren Tod geweiht. Nein, er durfte ihr Versteck nicht preisgeben. 
    Die Soldaten hatten es nicht eilig. Ohne Hast drängten sie die letzten sich zur Wehr Setzenden in die Enge, die Männer erstachen sie sofort, die Frauen

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