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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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und er hoffte inständig, es möge wenigstens für ihn, seinen Freund, irgendwo noch ein Walhall geben, in das ihm seine Söhne, die er vor langer Zeit zurückgelassen hatte, einst folgen würden … 
     
    *** 
     
    Die Türen des Ratshauses im Schwarzwald wurden geräuschvoll aufgerissen, und der Greis brach ab. Es war spät geworden. Nur noch Kaila, Fried, die Frau des Schreiners und der Skalde hatten der Erzählung beigewohnt, was den Alten nicht störte. Es genügte, wenn wenige sie bis zum Ende hörten. Sie konnten den anderen berichten. Kaila, die winzigen Fingerchen in seinen Haaren verfangen, war aufgewacht und starrte wie alle in dem Raum aus weit aufgerissenen Augen den finster dreinblickenden Mann an, der mit Kettenhemd, Helm und einem Breitschwert an der Hüfte in der offenen Tür stand. Seine weiße Schärpe entlarvte ihn als einen derjenigen, vor denen Tjalf, der Jäger, sie einen Mond zuvor gewarnt hatte. Sein verdrießlicher Blick – es war offenkundig, dass er die Nacht durchgeritten war – huschte von einem zum nächsten, bis er schließlich in einem Ton, der keinen Widerspruch gestattete, forderte: »Ihr beiden, mitkommen.« Er meinte Hegferth und den Ohm. Letzterer erhob sich mühevoll, löste Kailas Finger aus seinem strähnigen Haar und schenkte ihr einen aufmunternden Blick. In ihrem Erschrecken über den späten und überaus unfreundlichen Besucher fiel ihr nichts Besseres ein, als einen alten Kinderreim aufzusagen, den sie von Milas großer Schwester beigebracht gekommen hatten. 
     
Ob Troll, ob Zwerg,
ob Mensch, ob Ork,
ob Mann, ob Frau,
die Tage waren,
grau in grau. 
     
Und dunkle Schwingen im Wind. 
     
Bis zerschlagen einst,
des Hexers Aug’,
Jenen Tag im Mai,
der Geist ward frei. 
     
Und dunkle Schwingen im Wind. 
     
    »Aye. Und dunkle Schwingen im Wind«, wiederholte der Alte den Refrain, wobei er Frau und Kind spitzbübisch zuzwinkerte. Mit offenen Mündern blieben sie zurück, während der Ohm Hegferth nach draußen folgte. Dort erwarteten sie fünf weitere Soldaten. Bis zu den Knien klebte Matsch an ihren Beinkleidern. Alle waren sie gleich übel gelaunt. Nicht jedermann schätzte die raue Wildnis und Abgelegenheit der Berge. Nicht einmal jeder der in sich gekehrten Bewohner des Umlandes, deren Hilfsbereitschaft sich üblicherweise auf ihresgleichen beschränkte. Am Ende jedoch fand sich immer ein Verräter. Ohne Zweifel hatte einer das Silber der Fremden der Verschwiegenheit vorgezogen und sie mit einer Information versorgt, deren Belanglosigkeit den Skalden stutzen ließ. 
    »Hier ist also das Grab jenes Helden. Führt uns zu ihm«, brummte der, den sie zuerst gesehen hatten und der wohl der Anführer des kleinen Stoßtrupps war. 
    »Welchen Helden meinst du?«, fragte Hegferth, ehrlich verdutzt. 
    Der Soldat verpasste ihm einen Faustschlag, der ihn zu Boden warf. 
    »Du weißt genau, wen ich meine, Dummkopf! Ich spreche von Kraeh, der Kriegskrähe. Der Kaiser verlangt einen Beweis für seinen Tod.« 
    »Und er bezahlt mit barer Münze dafür«, schnalzte ein anderer. 
    Der Skalde, der sich mühevoll wieder aufgerappelt hatte, hütete sich nachzufragen, um welchen »Kaiser« es sich handele. 
    »Los jetzt!«, raunzte der Anführer barsch. 
    Nach einigen Schritten jedoch befiel den Greis ein so heftiger Hustenanfall, dass ihm gestattet wurde, aus seiner Hütte, vor der sie sich vermeintlich zufällig gerade befanden, einen Umhang und einen Schal gegen die Kälte zu holen. Danach gingen sie eilig weiter. 
    »Es ist noch ein Stück bis zum Grab«, bemerkte Hegferth. »Eine gute Gelegenheit, die Geschichte zu Ende zu bringen.« Der Alte nickte. Den fiesen Gesichtern nach zu urteilen, würde das ihr letzter Spaziergang werden. Nur allzu bereit, dem gutmütigen Skalden die Furcht zu nehmen, flocht er seine Erzählung fort, während sie einem wenig benutzten Waldweg folgten. Schwer atmend führte er aus: »Wie besonders dich interessieren dürfte, fühlte sich die Welt ohne die Nornen, also ohne Schicksal, keineswegs anders an als zuvor. Alles nahm seinen natürlichen Lauf. Die verschiedenen Völker kehrten in ihre Heimat zurück und ließen die Rheinlande geschwächt und führungslos hinter sich. Maet war es irgendwie gelungen zu fliehen. Kurz vor seiner Festung in Mont, erzählte man sich, sei er das Opfer einer Räuberbande geworden. – Wie dem auch sei, schon erhoben etliche Adlige ihren Anspruch auf die freien Throne. Wäre Erkentrud nicht eingeschritten,

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