Rabenflüstern (German Edition)
folgende Gespräch verlief. Zwei Monde danach fand die Trauung von Heikhe und Siegbrand statt. Jenem jungen Mann, dem Kraeh damals am Fluss zugesehen hatte und von dem Orthan gemeint hatte, er sei königlicher Abstammung. Seine Geliebte, die jüngere Schwester Erdens, brachte er mit an den Hof. Zweckvermählungen standen anscheinend nicht im Widerspruch zu den Lehren der neuen Religion, unter deren Schirmherrschaft die Hochzeit stattfand. Das peinliche Ritual, gehalten von einem Geistlichen, der sich dem Titel nach einen Bischopos nannte, war auf Heikhes Trotz zurückzuführen. Sie wollte damit vor allem Kraeh für seine dreiste Zurückweisung bestrafen. Sie wusste, wie gering er die neue Religion schätzte. Am selben Tag wurde Erden von eben jenem Bischof zum Ritter geschlagen. Eine Zeremonie, über die er selbst sich am meisten belustigte. Nichts würde sich für Erden und die Seinen ändern, außer dass sie nun die Erlaubnis hatten, Wegzoll zu erheben, und verpflichtet waren, einen Teil davon nach Brisak zu schicken. Doch wer wollte kontrollieren, wie viel sie wirklich einnahmen?
Kraehs und Sedains Ausritte waren in der Zwischenzeit immer länger geworden. Alle Veränderungen geschahen unter dem Zeichen, Einigkeit im Reich zu stiften. Daher unterstützte selbst Erkentrud, die Kraeh kaum noch zu Gesicht bekam, das Erstarken der neuen Religion. Widerwillig zwar, aber sie tat es. Zu viele trugen bereits das Kreuzsymbol um den Hals, um sie zu ignorieren
Kurz nach der Trauung folgten die beiden Freunde der Blutspur eines Hirsches, den einer von Sedains Bolzen am Tag zuvor verletzt hatte. Auf der Kuppe eines Dammes zügelte Kraeh unvermittelt seinen grauen Wallach. Sein Blick glitt über das dunkle Wasser des Rheins, dessen Oberfläche die Abenddämmerung widerspiegelte. Zwei Schwäne schwammen ihren Jungen voraus gegen die Strömung. Schlinger, der wie durch ein Wunder die große Schlacht beinahe unversehrt überstanden hatte, brachte laut bellend sein Unverständnis über die plötzliche Rast zum Ausdruck.
›Ich habe es so satt‹, sagte Kraeh bitter, das Bild des Pfifferlings vor Augen, dem für seine Verdienste in der Not die Ehre eines hohen klerikalen Amtes zuteilgeworden war. Nach jedem Umsturz kriecht der Unrat, der sich in kämpferischen Zeiten bedeckt halten muss, nach oben, wo er dann die Luft durch seine Kleinlichkeit und sein Kriechertum verpestet, dachte er in seiner Wut und Enttäuschung.
›Erinnerst du dich, worüber wir vor langer Zeit auf der Fraja sprachen? Ein Stück Land, Frau und Kind?‹
Erst pflichtete Sedain bei, nach einer Weile des Nachdenkens aber schüttelte er den Kopf. ›Wir sind Krieger. Egal, wo wir hingehen, unsre Bestimmung wird uns einholen.‹
›So etwas wie Bestimmung gibt es nicht mehr.‹
›Glaubst du das wirklich?‹, gab der Halbelf zurück, aber es war offenkundig, dass es eigentlich keine Rolle für ihn spielte.
Erneut trennten sich ihre Wege.
Während Sedain ap Nepdu dort zurückblieb, wo er hoch im Ansehen stand, zog Kraeh, bedacht darauf, seine Identität zu verheimlichen, mit einigen Familien, denen die jüngsten Ereignisse ähnliches Unbehagen bereiteten, nach Osten in die Berge. Hierhin, wo wir uns jetzt befinden.«
Einiges, was noch zu sagen gewesen wäre, hatte der Greis ausgelassen, doch sie hatten ihr Ziel fast erreicht und es lag ihm daran, die Geschichte abzuschließen.
»Wie ist die Episode mit den Nornen zu verstehen?«, fragte Hegferth, den das Gehen sichtlich anstrengte. »Ohne Zweifel sprachst du in Metaphern. Hat Kraeh das Schicksal besiegt, indem er seinen eigenen Geist befreite? Handelt es sich ums Erwachsenwerden?«
»Nicht im Geringsten«, kicherte der Ohm bei der Vorstellung von Kraehs Dreistigkeit, »er hat den drei Weibern tatsächlich einfach die Köpfe abgeschlagen.«
»Halts Maul, Alter!«, kam es von vorne.
»Da ist es.«
Epilog
Die Grabstätte befand sich auf einer Anhöhe mitten im Wald. Außer einer Eiche, deren Astwerk über dem federgeschmückten Kreuz im Boden ragte, war der Hügel unbewachsen. Ein neuer Tag graute und hüllte gemeinsam mit Mond und Morgenstern die Szenerie in gräuliches Zwielicht. In der Krone saßen zwei Raben, die die Neuankömmlinge krächzend begrüßten.
Die sechs Soldaten besaßen keinen Spaten. So warfen sie Hegferth eine Axt vor die Füße und befahlen ihm, mit ihr das Graben zu beginnen. Der Skalde nahm seinen ganzen Mut zusammen und verweigerte
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