Rabenflüstern (German Edition)
seinem Unterschenkel – und diese nicht sogleich heilen wollte, geriet er außer sich. Unvorsichtig führte er Streiche gegen Kraehs Hals, die dieser mühelos parierte. Seine Riposte schließlich öffnete das Kettenhemd des Feindes. Blut quoll hervor. Niedswar erkannte, wie chancenlos er gegen den jungen Krieger war, der seine Bestimmung angenommen hatte und ihm nun nach dem Leben trachtete. Schnaufend stützte er sich auf sein Schwert. »Du weißt nicht, was du tust. Vernichte mich und du lockst IHN hierher.« Zum ersten Mal zeigte sich kein Spott in seinen Mundwinkeln. Er wirkte wie ein geschlagener alter Mann, dem anscheinend ehrlich an dem Wohl dieser Welt gelegen war. »Du und ich, wir könnten die Erde vor IHM bewahren …«
»Es gibt kein wir«, sagte Kraeh angewidert bei dem Gedanken an die Gräueltaten, die sein Gegenüber vor einem Mond an den Frauen und Kindern verübt hatte, und das es nun wagte, sich anzubiedern. Die Kriegskrähe holte zum Schlag aus, dem Niedswar im letzten Augenblick mit dem Schwert hoch über dem Kopf begegnete. Die Klinge zerbrach und Lidunggrimm fuhr ihm in die Stirn, zerstückelte den Lia Fail in seiner Augenhöhle und schnitt den ganzen Schädel entzwei. Hirn spritzte, Knochen barsten und der Seher war tot.
All jene Kreaturen, die aus dem Kessel gestiegen waren, den Kraeh gerade umtrat, wodurch sich eine übel stinkende Flüssigkeit über den feuchten Boden ausbreitete, spürten den Tod ihres Herrn. Etliche sanken einfach leblos in sich zusammen, andere nahmen die Beine in die Hand und flohen.
Die Kriegskrähe eilte zurück zum Kampfgeschehen, wo sie feststellte, dass sie nicht länger gebraucht wurde. Die Feinde hatten die Waffen gestreckt und sich ergeben. Die Schlacht war gewonnen. Wie er später erfuhr, war es Erden und Erkentrud gelungen, Bran in einem Ausfall zu stellen. In seiner Arroganz hatte er die Herausforderung der Königin angenommen und in dem Zweikampf Krone und Leben gelassen. Die meisten Truppenteile waren unter Androhung der Vernichtung zur Beteiligung gezwungen, andere durch Vergütungen angezogen worden. Die Aussicht auf beides war mit dem Kaiser untergegangen und somit gab es keinen Grund mehr für sie, weiterhin ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Es war, als hätte der Frühling mit seinem Einzug diesen Moment nach der Schlacht abgewartet. Als die Männer und Frauen im Siegesrausch ihre Waffen gegen den Himmel reckten, riss die Wolkenbank über ihnen auf und die Sonne zeigte ihr helles Gesicht.
Ein heilloses Durcheinander herrschte auf der Ebene. Überall wurden Verwundete und Tote geborgen. Außer kleineren Reibereien unter jenen, die eben noch Feinde gewesen waren und nun unter den sich plötzlich gewandelten Umständen nicht recht wussten, wie sie gegeneinander zu verhalten hatten, lief alles erstaunlich friedfertig und gesittet ab. Die Kampfeslust war verloschen. Was nun folgte, war die Trauerarbeit um die Gefallenen. Zu viele waren verschieden, als dass Kraeh Freude empfinden konnte. Lou hatte sich für ihre Königin geopfert. Ihr einst so ansehnlicher Körper, nun aber zerfetzt und an mehreren Stellen durchbohrt, wurde auf eine Trage gehievt. Kraeh entdeckte Dietbods Leichnam. Der Hauptmann hatte lange erbittert ausgehalten, bis eine Axt ihm die Brust geöffnet hatte. Er wies zwei Herumstehende an, ihn fortzuschaffen, bevor am Abend die Plünderer und nach ihnen Füchse, Ratten und Krähen kommen würden, sich an den Leibern gütlich zu tun. Er wurde neben Pandros, dem Euskaldenkönig, Gnadnit und Orthan aufgebahrt. Ob das Ritual, das der Magier zu Beginn der Schlacht gemeinsam mit den Schamanen gewirkt hatte, tatsächlich ihren Schutz während des Kampfes verbessert hatte, interessierte nun niemanden mehr. Sie waren Männer des Schwertes, und solange man siegt, gerät das Fragen schnell in Vergessenheit.
Nun strömten Frauen aus dem Nachschub auf das Feld. Einige Paare fielen sich freudig in die Arme, andere fielen wehklagend neben ihren leblosen Liebsten auf die Erde. Viele suchten lange nach ihren Liebsten und staksten weinend durch das Meer aus Blut. Ein kleines Mädchen warf sich schluchzend vor einen Haufen ineinander verkeilter Gliedmaßen. Als Kraeh zu Tala hinzutrat, um sie zu trösten, fehlte ihm plötzlich die Kraft dazu. Unter dämonischen Klauen und Fratzen begraben, starrte Henfir ihm aus leblosen Augen entgegen. Die Szenerie zeigte deutlich, wie ehrenhaft er gefallen war. Eine Träne floss die Wange des Kriegers hinab
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