Rabenflüstern (German Edition)
mir, wem wird der Stein zum Ruhm verhelfen, falls ich ihn dir bringe?«
Bran winkte ab, als ob Kraeh nicht richtig verstanden hätte. »Theodosus, Maet, mir – es spielt keine Rolle. Wir müssen die alten Zwistigkeiten beilegen, wenn wir überleben wollen.«
Nachdenklich nickte der Krieger. »Ich beschaffe dir den Stein. Wann soll die Reise beginnen?«
Bran klopfte ihm auf den Rücken. »Das ist mein Mann! So schnell wie möglich. Zwei Schiffe werden bereits beladen. Berbast bringt dich bis zur See, danach bist du auf dich allein gestellt.«
»Berbast …«
Bran ließ ihn nicht aussprechen.
»Keine Widerrede. Du wirst ihn brauchen. Orks lauern an den Ufern, der Drudenzirkel hat seine Ohren und wie wir erleben mussten, auch seine Dolche überall; und die wilden Stämme lechzen nach allem, was ihre Grenzen passiert, um Beute zu machen.«
Kraehs Missfallen war nicht zu übersehen. Orks und Wilde kümmerten ihn nicht. Ebenso wenig der Spionagearm der Hexenkönigin, dem Bran wohl die Ermordung Gunthers zuschrieb. Die Aussicht hingegen, den gehassten General wieder einmal an seiner Seite zu haben, machte ihn innerlich rasend. Verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, Bran von seinem Entschluss abzubringen.
»Und was ist mit dir? Wer schützt die Mauern Brisaks?«
Bran wurde ungehalten. »Ich bin nicht nur Fürst dieses Landes, weil ich gut reden und trinken kann. Ich weiß noch immer ein Schwert zu schwingen.«
»Natürlich, verzeiht«, lenkte Kraeh schnell ein. »In der Nacht von Ostera setzen wir Segel. Selbst wenn die Druden und der Zirkel wissen, was wir vorhaben, werden sie nicht erwarten, dass wir in jener Nacht aufbrechen.«
»So soll es geschehen«, stimmte Bran zu und versank in dem Abbild seines Urahns.
Die Festlichkeiten zur Sonnwende würden in zwei Tagen stattfinden; Zeit genug, ausreichende Vorbereitungen zu treffen.
Kraeh wandte sich zum Gehen.
»Eins noch.«
»Ja?«
»Pass auf dich auf. Mögen die Götter ihre schützenden Hände über dich halten.«
Kraeh beugte sein Haupt in Andeutung einer Verbeugung und verließ die Halle.
***
Zuerst hatte sich Rhoderik mit den Kindern querfeldein durch dichte Tannenwälder nach Westen bewegt. Nach mehreren Tagen hatte er jedoch beschlossen, das Wagnis einzugehen, einem Bergpfad zu folgen, der sie seiner Erinnerung nach auf die dem Rhein vorgelagerten Ebenen führen würde. In den Tagen, da er als junger Krieger diese Gebirge durchwandert hatte, war es Brauch gewesen, die in regelmäßigen Abständen unweit der Wege gelegenen Zufluchtsstätten, meist Blockhütten oder windgeschützte Verschläge, für den nächsten Reisenden mit Nahrungsmitteln und Feuerholz zurückzulassen. Er hoffte inständig, dass sich diese Sitte erhalten hatte. Ihr Proviant wurde knapp und die Kinder froren nachts, doch er wagte es nicht, jagen zu gehen, und nur selten ein Feuer zu entzünden. Es war hart für sie, tagein, tagaus zu laufen, und zehrte an den Kräften ihrer jungen Körper, die den wenig anstrengenden Alltag des Hoflebens gewöhnt waren. Obgleich sie ihn für die aufgezwungenen Strapazen hassten und ihn ihre Ablehnung bei jeder Gelegenheit spüren ließen, erfüllte es sein Herz mit Stolz, mit welcher Ausdauer sie mit ihm Schritt hielten. Gunther zählte sieben Sommer, Heikhe elf, doch sie marschierten wie junge Krieger auf dem Weg zur ersten Schlacht. Vielleicht, dachte er, lag es auch an ihm. Abends schmerzten seine Waden und am Morgen spürte er jeden Stein und jede Wurzel, auf der er gelegen hatte. Er verbot sich derlei Gedanken. Erst wenn die Kleinen in Sicherheit waren, würde er sich erlauben, die Schwächen seines Alters einzugestehen.
In der Dämmerung fanden sie eine spärlich getarnte Höhle. Es war Balsam für die Seele des Älteren, als sie dort einen Stapel Holz vor der Feuerstelle sowie gepökeltes Fleisch und sogar ein paar Kartoffeln in einer Grube unter einem markierten Stein vorfanden.
Sogleich entfachte Heikhe unter der Anleitung Rhoderiks ein Feuer, dessen Flammen bald gierig an dem trockenen Holz leckten und eine wohltuende Wärme ausstrahlten, das aufgrund der spitzen Bauart aber kaum Rauch aufsteigen ließ. Vor ihrem Unterschlupf wuchsen Brennnesseln, die sie schnitten, stampften und in einen kleinen Topf mit Wasser gaben. Die Kartoffeln stellten sich bei näherer Betrachtung als verfault heraus, so kauten sie auf dem trockenen Fleisch und spülten es mit dem bitteren Brennnesseltee
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