Rabenflüstern (German Edition)
aus Pein geschaffene Geschöpfe in eine Welt geboren, die ihnen nichts als Schmerz versprach. Das Ergebnis war grotesk und schrecklich zugleich. Mischwesen, wie die schlimmsten Albträume sie nicht hervorzubringen imstande sind, machten Bekanntschaft mit ihren neuen Gliedern. Einer der Diener hatte die Gefahr nicht schnell genug erkannt; ein zangenbewehrtes Bein war ihm in die Seite gefahren. Voller Entsetzen sah er in die milchig weißen Augen des Untiers. Er wurde hoch in die Luft geschleudert, wobei seine herausgerissenen Gedärme den Flug begleiteten. Bevor er wieder auf dem Boden aufkam, wurde sein Körper von Fängen und Schneidewerkzeugen gänzlich in Stücke gerissen.
Die beiden anderen Gehilfen hatten in eine Ecke gekauert seinem Tod zugesehen. Als die Aufregung unter den Wechselbälgern abgeebbt war, schritt der Seher gebieterisch vor sie. Fauchend und geifernd neigten sie ihre verunstalteten Köpfe.
»Und jetzt, meine Kinder«, ging er sie an, »bringt mir die Herzen dieser beiden Gören!«
Schwingen spannten sich von verkrümmten Wirbelsäulen und schlugen Luft. Mit schrillem Krächzen flogen die sechs Bestien zur Kuppel der Höhle, folgten einem Tunnel, der ihnen den Weg hinaus in die Schwärze der Nacht wies.
***
Die Fraja glitt durch brackiges Wasser. Es war bereits dunkel geworden und sie befanden sich auf einem Seitenarm, der sie nach Nordwesten an den Rand des Reiches der Druden zwang, um den seichteren Gewässern, wo der Kapitän einen Hinterhalt vermutete, zu entgehen.
Der Tag war trotz der sie begleitenden Verfolger ruhig verlaufen. Sie hatten gefischt und genug Fang gemacht, um die Vorräte nicht anrühren zu müssen. Wenn es die Breite des Flusses zugelassen hatte, waren sie Seite an Seite mit Berbasts Schiff gesegelt, damit jener keinen Verdacht schöpfte.
Kraeh, Sedain, Thorwik und Rhoderik standen abseits der Grüppchen, die sich unter den Soldaten und Mannschaften gebildet hatten, gemeinsam auf dem Achterdeck und planten das weitere Vorgehen.
»Es kann so nicht weitergehen mit den Kindern«, bemerkte Kraeh.
»Wir brauchen eine Amme«, schlug Rhoderik vor.
Sedain schüttelte den Kopf. »Ihr macht euch darin doch ganz gut«, grummelte er und schenkte seinem Freund einen verächtlichen Blick. »Das Beste wäre, sie einfach in den Fluss zu werfen.«
Der Alte wollte aufbrausen und etwas erwidern, doch Kraeh winkte rechtzeitig ab. »Die Kinder bleiben bei uns«, sagte er bestimmt.
Der Halbelf betrachtete den Punkt nicht als erledigt und hub erneut an: »Welche Verantwortung knüpft ...«, wurde aber jäh von Thorwik unterbrochen. »Ein Sturm zieht auf!«
Alle sahen hinauf. Eine breite Wolkenbank hatte sich vor den Sternenhimmel gezogen und eine düstere Stimmung legte sich mit den Schatten über das Schiff. Innerhalb weniger Augenblicke war es stockfinster, woraufhin eilig Laternen angezündet wurden. Keinem war entgangen, dass die dichten Schwaden sich gegen den Wind bewegt hatten.
»Holt die Fock ein!«, rief der Kapitän.
Ein Donnergeheul erhob sich, wie es niemand zuvor je gehört hatte. Die Fraja verlangsamte ihre Fahrt und die Soldaten zogen ihre Schwerter. Auch auf dem Schwesternschiff hatte man Lichter entzündet. In erwartungsvoller Stille trieben sie in gedrosseltem Tempo voran.
Nach kurzer Zeit war der Spuk vorbei. Leichter Regen löste sich aus den Wolken und vertrieb die beklemmende Atmosphäre. Die Klingen verschwanden wieder in den Scheiden.
Der Kapitän machte ein Zeichen zur Abwehr gegen das Böse. »Drudenzauber«, argwöhnte er und spuckte aus.
»Seid wachsam«, mahnte Kraeh.
Die Segel wurden wieder gehisst. Ein konstanter, wassergeschwängerter Wind trieb sie voran. Die Fauna um sie herum hatte sich leicht geändert. Die Bäume waren älter, ihre ins Wasser ragenden Wurzeln größer und knorriger. Leicht wiegten ihre Äste hin und her und schienen sich Worte zuzuraunen. Ein dünner Streifen Wasserpest zog sich in dunklem Grün am Ufer entlang. Nach dem Donner war von den Orks nichts mehr zu sehen oder hören gewesen. Zumindest eine Gefahr hatten sie abgeschüttelt. Dennoch schlief kaum einer in dieser Nacht. Die Soldaten gaben sich lässig, doch Kraeh spürte ihre Anspannung. Sie kannten die beunruhigenden Geschichten über den Wald, den sie durchquerten.
Es war nach Mitternacht, die Luft kündigte einen kühlen Morgen an, als sie die Grenzsteine des Drudenvolkes passierten. Im Eigentlichen waren es keine
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