Rabenflüstern (German Edition)
Rücken mit Alkohol desinfiziert wurde.
Der Schmerz ebbte langsam ab und er revidierte seine Meinung. »Mal ehrlich«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »im Moment klingt das gar nicht so schlecht.« Kraeh lächelte.
Lou, die das Gebiet gut kannte, stand häufig mit Thorwik am Steuerrad und wies ihn auf eventuelle Gefahren und Umgehungen von Stromschnellen hin. Ihre Ratschläge erwiesen sich als hilfreich und bald plauderten die beiden auch über andere Dinge. Unter anderem beschrieb sie ihm, bis an welche Grenzmarken sich das Gebiet ihrer Herrin in den letzten Jahren erweitert hatte.
Über Heikhes Wesen hatte sich Schwermut wie ein Schatten gebreitet. Mit ernstem Gesichtsausdruck lauschte sie Rhoderiks Ausführungen. Er klärte sie über die komplizierten Herrschaftsstrukturen der verschiedenen Fürstentümer auf, ihre Fehden und deren weit zurückreichenden Ursprünge. Sie bestand darauf, kämpfen zu lernen. Und so brach Rhoderik, als sie einmal zum Jagen und Früchtesammeln für einen halben Tag vor einer weiten Flur ankerten, vier junge Weidenruten, aus denen er Übungsschwerter bastelte. Die kürzeren Stücke verknotete er mit den längeren, um Parierstangen anzudeuten.
Wieder auf dem Strom, begann er mit einfachen Lektionen.
Sie lernte schnell und konzentrierte sich ausschließlich auf ihre Übungen.
Es war eine gute Ablenkung für das gerade mal elf Sommer alte Mädchen, dachte Rhoderik. Nach zehn Tagen beherrschte Heikhe Paraden und Finten, sie focht ebenso gut wie ein Jüngling, der in seine erste Schlacht zieht; einzig ihrer Beinarbeit war noch verbesserungswürdig. Wenn sich einmal keiner der Soldaten, die das kriegerische Mädchen lieb gewonnen hatten, für einen Übungskampf hergeben wollte, vollführte sie Hiebe und Stiche gegen imaginäre Gegner und tänzelte dabei über das ganze Deck.
Sedain war mittlerweile wieder auf den Beinen, schonte sich aber auf Anweisung des Feldschers, so gut es ihm gelang. Sie hatten das Reich Mont und die letzten Ausläufer der Drudenlande unbehelligt hinter sich gelassen und steuerten geradewegs auf das Meer zu. Manchmal war im Wind schon Salz zu schmecken, Möwen legten dreist auf den Takelagen eine Pause ein, von wo aus sie das Achterdeck verdreckten.
Thorwik ließ die Ruderer den ganzen Tag und einen Großteil der Nacht durchs Wasser schlagen. Sie befanden sich nun in den wilden Landen. Urwüchsige Wälder erstreckten sich zu beiden Seiten des Flusses. In ihnen hausten sich befehdende Stämme, über die so gut wie nichts bekannt war, außer dass sie gelegentlich Raubzüge gegen das wohlhabende Mont führten. Lou charakterisierte sie als brutal, aber so schlecht organisiert, dass sie bei wachsamen Verhalten keine Gefahr darstellen dürften. An einer Engstelle erwartete sie einmal ein waffenstarrender, grölender Verband zotteliger Krieger. Als Kraeh die gut gerüsteten Soldaten antreten ließ und die Speerschleuder gespannt wurde, zogen sie Verwünschungen rufend ab.
Von den Harpyien, wie Thorwik die Kreaturen nannte, die den Jungen geraubt hatten, war nichts zu sehen gewesen. Des Nachts waren aber gelegentlich markerschütternde Schreie aus der Ferne zu vernehmen. Deshalb wurde die Fraja in der Abenddämmerung so gut beleuchtet, wie es eben ging. Zum einen hoffte man so, das Licht würde die dämonischen Kreaturen schrecken, zum anderen gaben sie etwaigen Räuberbanden zu verstehen, dass sie furchtlos waren und keine leichte Beute abgeben würden. Einmal liefen sie ein Fischerdorf an, kauften Lampenöl und stockten die Vorräte an Salz, Hafer und Pökelfleisch auf. Leute scharten sich um die kleine Anlegestelle, gafften und versuchten, sie durch Rufe zum Nächtigen zu überreden. Eine wohlgenährte Frau lupfte gar ihre Bluse und bot den Blick auf ihre prallen Brüste feil. Als der Matrose im Ausguck, mit dem Thorwik die ganze Zeit über Blickkontakt hielt, mit einem Zeichen zu verstehen gab, dass sich Reiter näherten, wurde der Handel schnellstmöglich abgeschlossen und der Anker gelichtet.
Sie hatten die Fahrt gerade wieder aufgenommen, als eine Schar Reiter auszumachen war, die das Banner Theodosus’, besser gesagt, seines Gottes mit sich führte. Sie waren zu weit entfernt, um Gesichter ausmachen zu können; das mächtige goldene Kreuz, in dessen Schnittpunkt eine rote Sichel eingelassen war, schimmerte jedoch deutlich im Sonnenlicht.
Kraeh wunderte sich, was sie so weit in den feindlichen Norden trieb, schob
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