Rabenflüstern (German Edition)
scheint«, sagte Bretel mit einem Blick auf den Feldscher, der den Soldaten stützte, dem er ein Bein amputiert hatte, »braucht ihr auch einen.«
Die Taverne, in der sie sich kurze Zeit später einfanden, lag unweit des Hafens. Der Name Gewölbekeller war ebenso einfallslos wie passend. Die Besatzung der Fraja , bis auf vier Soldaten, die mit Bretels Angestellten ein Auge auf das Schiff haben sollten, hatte ein Lagerhaus betreten, wo ein Mann, augenscheinlich der Wirt, sie eine Wendeltreppe in das ausgebaute Untergeschoss des Gebäudes führte. Die Decken der Schenke waren hochgewölbt und sandsteinfarben. An langen Tischen nahmen sie auf bereitgestellten Kisten und Säcken Platz. Bis auf zwei bärtige Stammgäste, die an einem kurzen Tresen standen, hinter dem sich eine unglaubliche Zahl an Amphoren und Fläschchen in einem Regal stapelten, hatten sie den Raum für sich. Der Wirt, ein blonder junger Mann, erklärte, dass der Keller ebenfalls als Lagerraum genutzt worden sei, bevor er ihn vor einigen Jahren gepachtet hatte.
»Gemuetlich, und nimant störet sich an de Krach«, frohlockte er, stolz auf seinen Geschäftssinn. Auf den Tischen spendeten in Flaschen steckende Kerzen flackerndes Licht, zwei Fackeln in gußeisernen Haltern beleuchteten den einzigen Zierrat: ein riesiges Bild, auf dem ein Fischer in einem Ruderboot abgebildet war. Schäumende Wogen rahmten ihn ein, aus denen dünne, gischtweiße Hände nach ihm griffen und drohten ihn hinab in die Tiefen ihres Elementes zu ziehen.
Gutmütig rügte der Wirt ein zierliches, hübsches Ding, das offensichtlich zu spät zur Arbeit erschienen war. Thorwik und Kraeh setzten sich nach kurzer Diskussion darüber, wer am Ende die Zeche begleichen würde, gegen den Zwerg durch. Der Wirt und seine Bedienung hatten alle Hände voll zu tun, den Wünschen ihrer Gäste nachzukommen. Drei Matrosen halfen ihnen, Fässer voller Gerstenbier aus einem Hinterzimmer heranzurollen. Eines nach dem anderen wurde angestochen.
Einstimmig war der Beschluss gefasst worden, zwei Nächte in der Stadt zu verbringen. Sie hatten Hartes durchgemacht, Entbehrungen und Gefahren ausgestanden und waren nun in guter Gesellschaft, daher leerte selbst Kraeh, der selten trank, einen Humpen nach dem anderen und ließ auch keine Runde der kreisenden Rumflaschen aus. Allein Lou hielt sich zurück und nippte nur gelegentlich an einer Karaffe Wein, die extra für sie bereitgestellt worden war.
Bretel erzählte lautstark Geschichten aus seinem Leben, rühmte den Mut seines Freundes Thorwik, mit dem er schon so manches Schiff gekapert habe, und klagte über den in Haagstadt Einzug haltenden Rassismus. Einzig die Bekanntschaft mit dem Bürgermeister garantiere seine Freiheit. »Möge er lang leben!«, rief er aus und alle, die in seiner Nähe saßen, hoben und stürzten die Becher auf sein Wohl. Kraeh zweifelte keinen Augenblick daran, dass mehr als die Hälfte der Seeleute und Soldaten ebenso auf die Versklavung aller Nichtmenschen getrunken hätten, wenn sie einen anderen Gastgeber gehabt hätten.
Auf seine Frage, ob Bretel den Fürsten Theodosus kenne, fragte er spöttelnd zurück: »Du meinst Kaiser Theodosus?« Der Krieger sah ihn ungläubig an.
»Ihr habt wohl noch nichts davon mitbekommen?« Er zog seinen Humpen leer und schwenkte damit in der Luft, bis das Mädchen herbeieilte, um ihn aufzufüllen. Als es geschehen war, führte er weiter aus: »Die Fürsten der Rheinlande haben ihn zum Großkönig ernannt. Sie scheißen sich in die Hosen vor den Orks.« Er lachte bitter. »Und weil sie allesamt gleichermaßen unfähig sind, haben sie den schlimmsten unter sich gewählt. Jetzt ziehen Boten überall durchs Land und verkünden die Lehre seines armseligen Gottes.«
Kraeh ließ ihm den Seitenhieb auf Bran durchgehen. Es bestürzte ihn, dass sein Herr es offenbar ernst gemeint hatte mit dem Bündnis. Einerseits war er stolz aufgrund der Ehrlichkeit, die er ihm entgegengebracht hatte, andererseits verstand er nicht, weshalb ausgerechnet Theodosus den Rheinlanden vorstehen sollte. Vielleicht war es gar nicht dumm, überlegte er, immerhin sprach der Rücktritt des Mächtigsten unter ihnen für das ehrliche Anliegen der Sache. Dann war die Eroberung der Wutach anscheinend nur eine Farce gewesen. Kraeh bemerkte, wie sich der Raum um ihn herum zu drehen begann, und so verschob er tiefere Überlegungen auf später.
Bretel war eh nicht mehr bei der Sache. Er und Thorwik überboten
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