Rabenflüstern (German Edition)
Ruder eingezogen. Einige übergaben sich, den letzten Rausch aus ihren Leibern würgend, über die Reling. Auf dem Achterdeck hatte man ein Tuch gespannt, unter dem ihr Feldscher, der glücklicherweise auf dem Schiff zurückgeblieben war, die Verletzten versorgte. In erster Linie war er Soldat, hatte aber einiges von dem Feldarzt des brisakschen Heeres, mit dem er befreundet war, abgeguckt. Von ihm hatte er auch eine lederne Tasche für die Reise mitbekommen, aus der er Kräuter, Verbände, eine Säge und zwei kleinere Messer herausgekramt und vor sich ausgebreitet hatte. Im Schein mehrerer Öllampen lag Sedain mit bandagiertem Rücken neben zweien, die es wesentlich schlimmer erwischt hatte. Als Brandolf, wie der Feldscher hieß, die Knochensäge ansetzte, um einen leblosen Haufen zerfetzten Fleisches, der einmal das rechte Bein des Mannes neben ihm dargestellt hatte, vom Rest des Körpers abzuschneiden, drehte er den Kopf zur anderen Seite.
Nicht weit von ihm saß Kraeh, abwechselnd auf die mit Schnörkeln verzierte Scheide seiner neuen Schwerter und in die Stille der Nacht blickend. Er hatte sich geschworen, die Kinder zu beschützen, und hatte versagt. Bisher hatte er das Gefühl von Schuld nicht gekannt, jetzt lastete es schwer auf seiner Seele und sogleich entschied er sich, dieser neuen Regung keinen Platz einzuräumen. Er hatte keinen Bedarf, dieses widerliche Gefühl zur Gewohnheit werden zu lassen.
Rhoderik, dem sein Alter zum ersten Mal deutlich anzusehen war, setzte sich müde neben ihn. In seinen Armen hielt er Heikhe fest um sich geschlungen. Der Feldscher hatte ihr, da sie nicht aufgehört hatte zu weinen, ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie schlief einen unruhigen Schlaf, immer wenn ihre Augen im Traum zu flimmern begannen und ihr Körper zitterte, streichelte Rhoderik müde ihren Kopf. An seinem Arm pulsierte Blut aus einer Schnittwunde, doch er hatte sich vorgenommen, es zu ignorieren, bis Brandolf die ernsthaften Wunden versorgt hatte.
Ein knackendes Geräusch entstand, als die Säge auf Knochen traf.
»Denkst du, er ist tot?«, fragte der alte Krieger.
Es dauerte einen Moment, bevor Kraeh antwortete. »Ich hoffe es«, sagte er heiser, »für ihn.«
Beide starrten in die kaum auszumachende Uferböschung, die langsam an ihnen vorübertrieb, begleitet von den winselnden Lauten des dritten Verletzten, der im Fieber fantasierte. Eines der Biester hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt. Ohne große Hoffnung und auch ratlos ob einer so grässlichen Wunde, hatte der Feldscher ihm die herausgequollenen Gedärme zurück in den Leib geschoben und mit Klammern die Bauchdecke wieder verschlossen.
»Er sollte ihm den Gnadenstoß geben«, sagte Kraeh, unfähig, die bemitleidenswerten Klagelaute weiter zu überhören, erwartete aber keinen Zuspruch.
Eine Träne rann Rhoderik über die wettergegerbte Wange. Er hatte den Jungen lieb gewonnen. Nun war er tot oder ihm widerfuhr Schlimmeres.
Kraeh fühlte mit dem Alten und richtete seinen Blick auf das Mädchen. »Wir werden sie mit unsrem Leben verteidigen und sie auf den Thron setzen, der ihr zusteht. Das schwöre ich!«
»Aye«, knurrte Rhoderik, »und wer auch immer diese Kreaturen ausgesandt hat, wird um ein schnelles Ende betteln.«
»Das ihm nicht vergönnt sein wird«, ergänzte der Jüngere hasserfüllt.
Sie schwiegen.
»Ich hatte eine Begegnung …«, sagte Kraeh nach einer Weile. Er unterbrach sich jedoch selbst und wechselte das Thema, als er merkte, dass ihm die Worte zur Beschreibung der Ereignisse fehlten. »Du hast ein Recht zu erfahren, wohin uns diese Reise führt. Wir suchen einen Stein. Den Lia Fail«, fuhr er stattdessen fort.
Rhoderik nickte. »Auch ich hatte eine Begegnung. Eine Stimme sprach zu mir im Traum. Ihretwegen kreuzten sich unsre Wege.« In Kraehs Kopf arbeitete es. »War es eine helle, schmerzhafte oder eine tiefe und wohlklingende Stimme?«
»Weder noch.« Er strengte sich an, die Erinnerung wachzurufen. »Es war eindeutig eine Frau, die zu mir sprach. Sie hatte mich mit den Kindern ausgeschickt, dich zu finden. Von einem Stein hat sie nichts gesagt. Aber ich kenne natürlich die Legenden.«
»Ja«, fluchte der Krieger, »Legenden. Diese ganze stinkende Magie ist so unnötig wie ein Eimer voll Kuhmist.« Dabei glitten seine Finger über das elfenbeinerne Heft von Schmerz .
Rhoderik tätschelte Heikhes Nacken, der sich infolge eines Anfalls verkrampfte. »Ein Skalde hat mir einst erzählt,
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