Rabenflüstern (German Edition)
achten Tag ihrer Gefangenschaft wusste Thorwik, dass ihn bald das gleiche Schicksal ereilen würde. Der Rand seiner Beinwunde hatte sich schwarz gefärbt und stank bestialisch. Die Hoffnungslosigkeit seiner Lage führte zu einem letzten Aufbäumen seiner Kräfte. Er würde nicht tatenlos darauf warten, dass man ihn den Fischen zum Fraß vorwarf. Als er das nächste Mal losgemacht wurde, seine Notdurft zu verrichten, zog er dem nächststehenden Soldaten einen Dolch aus dem Gürtel und trieb ihn in dessen Hals. Er riss ihn heraus, um dem nächsten in gleicher Weise zu begegnen, da durchbohrten ihn schon die Klingen der Umstehenden. Zwei aus seiner Mannschaft waren aufgesprungen, ihm beizustehen, wurden jedoch sogleich erbarmungslos mit Schwertknäufen niedergeschlagen. Sie hieben und stachen noch auf Thorwik ein, als seine Seele schon lange den Körper verlassen hatte. Es war ein trauriger und unwürdiger Tod für den stolzen Kapitän der Fraja .
Einen Tag darauf verstarb auch der Einbeinige, der ihm verzweifelt zu Hilfe geeilt war, an inneren Blutungen, ausgelöst durch die Schläge der Knäufe auf seinen Kopf.
Rhoderik bangte um das Los Heikhes. Sie war beinahe im heiratsfähigen Alter und würde bei manchen Völkern schon als geschlechtsreif eingestuft werden. Die Schonung, die ihr jetzt noch zugutekam, würde an Land, so fürchtete er, in Unbarmherzigkeit leicht absehbarer Art umschlagen.
Was Lou an Einfühlungsvermögen in ihrer Rolle als Kindermädchen eingebüßt hatte, machte sie nun wett. An Heikhe gewandt erzählte sie im Flüsterton, wie ihre Vorfahren vor langer Zeit aus dem fernsten Osten gegen die Rheinlande gezogen waren, dort auf die Hexenkönigin trafen und sich ihr, nach mehreren Niederlagen, schließlich angeschlossen und dort mitsamt ihren mitgebrachten Familien niedergelassen hatten. Kraeh, von Lous Geschichten mindestens genauso gefesselt wie das kleine Mädchen, verbiss sich seine brennenden Zwischenfragen. Die Erzählungen waren für Heikhe bestimmt. Kraeh saß nur mit gespitzten Ohren lauschend daneben und hoffte, so viel wie möglich von der Geschichte mitzubekommen. Vor allem brannte ihm die Frage auf der Zunge, was mit den männlichen Angehörigen ihrer Sippe geschehen war. Hatte man sie auch aufgenommen oder schmückten ihre Schädel die Grenzpfosten? Sie verlor auch kein Wort darüber, welchen Rang sie bei den Druden innehatte, aber er schloss aus ihrem Wissen und der Wichtigkeit der Aufgabe, mit der sie betraut worden war, auf eine sehr hohe Stellung.
An einem frischen Abend, der Wind zog kühl durch die Spalten, aus denen die langen Ruderstiele ragten, näherten sich die beiden Aufseher mit einem hämischen Grinsen im Gesicht der dösenden Lou. Grob packte sie der eine von hinten, während der zweite seine Beinkleider öffnete. Säuerlicher Alegeruch stieg ihr in die Nase. Zwei Reihen hinter ihr saß Sedain, die Augen ausdruckslos auf den Kleineren der beiden gerichtet, der gerade sein Geschlecht entblößte. Die anderen schliefen oder taten so als ob.
»Mach schon, Janko«, zischelte der Hintere.
»Ich kann nicht, wenn dieser Bastard mir dabei zusieht«, gab der andere gereizt zurück, während er sein schlaffes Glied in der Hand hielt. Lou machte keine Anstalten, sich zu wehren; unnütz, sann sie, durch den Lärm die Anderen, allen voran das Kind neben ihr, zu wecken und an dieser scheußlichen Einlage teilhaben zu lassen.
Janko hatte es letztendlich doch zu einer kleinen Erregung gebracht und bemühte sich halb gebückt, seinen Stößel zwischen die vollen Lippen zu schieben, die sein Kumpan ohne große Anstrengung mit beiden Händen auseinandergepresst hielt.
Wie fallendes Laub, das sich im sanften Flug glühender Magma näherte, traf sie Sedains Stimme. »Könnt ihr euch vorstellen, was geschieht, wenn zwei hirnlose Täubchen den verblödeten Einfall haben, einen Bussard zu verärgern?«
Das Blut wich nun vollends aus den Schwellkörpern, auf die sich Lous Sichtfeld begrenzte. Erneut versuchte Janko unter Aufbietung all seiner Konzentration, das Blut umzulenken, da tönte von oben ein kehliger Bass: »Wo steckt ihr?! Hendrik? Janko?«
Wortlos ließen sie von ihr ab, um dem Befehl zu folgen, nicht aber, ohne vorher noch vor dem Störenfried haltzumachen und ihm mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen. Sedains Nase brach mit einem lauten Knacken. Doch sein Lächeln blieb, wirkte umso dämonischer unter dem dunklen Saft, der ihm über Mund und Kinn
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