Rabenflüstern (German Edition)
Speer platschte wirkungslos ins Wasser, was dem roten Radgar einen tadelnden Blick Thorwiks und den Hohn der kaum mehr als einen Steinwurf entfernten Seeräuber einbrachte. Dreißig kampferprobte Männer trug jedes der beiden Drachenschiffe; Allesamt waren sie hungrig, streitlustig und voller Gier auf die Schätze, die sie in den Bauch der Fraja hineinfantasierten.
Bagnu, den man auch den Schlächter nannte, wiederholte das Rumgerutsche auf der Galionsfigur. Er war bis oben hin voll mit Branntwein und außer sich vor Freude über das kommende Gemetzel. Deshalb dauerte es einen Moment, bis er begriff, was ihm da aus der Brust ragte. In der Absicht, den Bolzen herauszuziehen, ergriff er ihn, als plötzlich alle Kraft aus seinem Arm wich und er tot zu Boden stürzte.
Sedain grinste. »So was passiert, wenn man mit Fabelwesen fickt«, sagte er zu Kraeh, der nun hinter die Schilde zielen ließ, was nach der zweiten Salve zwei Männer zu Fall brachte.
Zu spät bemerkte Lou, dass Heikhe von ihrer Seite gewichen war. Sie war zu Kraeh gerannt und zupfte aufgeregt an seinem Hemd.
Verwirrt durch Bagnus schnelles Ende waren die Ruder der Verfolger kurzzeitig unregelmäßig ins Wasser getaucht worden. Dadurch hatte die Fraja wieder einen kleinen Vorsprung gewonnen.
»Ich habe eine Idee«, wisperte das Mädchen.
»Sag schon«, ermunterte Kraeh sie, der sowieso nichts Besseres zu tun hatte, als den Pfeilen nachzusehen.
»Wenn ihre Schiffe schneller sind, sollten wir tauschen.« Erst begriff er nicht, was sie meinte, dann erkannte er ihre Chance. Er ließ sie einfach stehen und rannte zum Kapitän. Der schüttelte heftig den Kopf, aber Kraeh redete weiter auf ihn ein. Schließlich nickte er unglücklich, stieg eilig die Treppe herunter und bellte Befehle unter Deck.
Als die Piraten sahen, wie die Ruder eingeholt wurden, dachten sie, der Feind habe die Aussichtslosigkeit seiner Lage erkannt und wolle womöglich kapitulieren. Narren, sollten sie auf ihre Gnade hoffen. Auch sie stellten das Rudern ein. Entermesser und Säbel wurden aus den Scheiden gezogen.
Endlich auf gleicher Höhe angekommen waren sie perplex über den Anblick, der sich ihnen bot. Zumindest galt das für die Besatzung des Drachenschiffes auf der Backbordseite; sie sahen, wie die ganze Mannschaft des Gegners von der ihnen abgewandten Reling aus ihr Schwesternschiff enterte. Diese Schau war allerdings von kurzer Dauer, da ein böse grinsender Mann mit weißem Pferdeschwanz eine Fackel auf die mit Öl begossenen Planken warf. Sofort loderten hohe Flammen auf, ein beißender Qualm stach ihnen in die Lungen und raubte ihnen die Sicht.
Steuerbords war die Überraschung nicht minder groß. Die Piraten hatten um Mitleid bettelnde Opfer erwartet und nicht eine Meute mordlustiger Krieger, die mit solcher Wucht auf ihr Schiff stürmten, dass einige vom puren Druck des Aufpralls ins Wasser gedrängt wurden. Ein brutales Stechen und Schlitzen begann, bei dem die Piraten schnell merkten, dass sie unterliegen würden. So kämpften sie mit dem Mut der Verzweiflung und rissen einige mit sich in den Tod. Lou stieß ihr Rapier dem letzten noch lebenden Seeräuber ins Gedärm, drehte es und trat ihn mit dem Fuß. Rücklings flog er durch die Luft. Seine Eingeweide platschten wenig nach ihm ins schäumende Meer.
Bevor die Verwundeten versorgt und die Leichen von Bord geworfen wurden, hackten sie die Hände der Piraten ab, die sich noch im Tode an den Enterhaken festklammerten. Das Drachenschiff löste sich von der brennenden Fraja . Dem Kapitän rollte eine Träne die Wange hinab, wie er sein Schiff in Flammen aufgehen sah. Aber es blieb ihm nicht die Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Im Rausche des Gefechts waren die drei Schiffe bis kurz vor die Nebelbank getrieben. Aus ihrem Dunst schälte sich die Silhouette einer so großen Kriegsgaleere, wie selbst Thorwik noch keine gesehen hatte. Sie war dreistöckig und aus jedem der Decks ragten baumlange, mit Klingen versehene Ruder. Sogar die sinkende Fraja wirkte mickrig im Vergleich. Sedain und Kraeh sahen sich an und zogen wieder blank, der Rest starrte bewegungslos dem Ende entgegen, das in Form dieses gigantischen Schiffsbugs auf sie zukam. Doch das kam erst für die Seeräuber auf dem anderen Schiff, das knapp hinter ihnen dümpelte. Knarrend öffnete sich eine Luke von dem Ausmaß eines auf den Hinterbeinen stehenden Bären und eine doppelläufige Speerschleuder kam dahinter zum Vorschein. Zwei
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