Rabenflüstern (German Edition)
ja bei Gelegenheit mal sprechen.«
»Ich werde es ihm sagen. Immerhin begegnet man sich ja immer zweimal im Leben …«
»Ruhe da hinten!«, wurden sie angegangen.
So trotteten sie schweigend der Menge hinterher.
Zwei Glockenschläge später, die von einem spitz zulaufenden Turm ausgingen, in dessen Schatten sie jetzt standen, hatten sie den Marktplatz erreicht. Man führte sie auf eine mannshohe Bühne und befreite sie von den Ketten. Der Platz war gerammelt voll. Männer, Frauen und Kinder sowie einige Orks und Zwerge, die in der Menge unterzugehen drohten, tummelten sich, die neu angekommene Ware zu sichten, gleich, ob sie das Geld hatten, sich einen Sklaven leisten zu können oder nicht. Es war ein öffentliches Spektakel, das sich keiner entgehen lassen wollte. Kraeh kannte dergleichen nur aus Erzählungen, in den Rheinlanden gab es keine Sklavenkaste. War hier geschah, war für ihn schwer fassbar, hinter seiner gleichmütigen Fassade musste er hart ankämpfen gegen Verwirrung, Orientierungslosigkeit und vor allem gegen das ohnmächtige Gefühl des vollkommenen Ausgeliefertseins. Für ihn war nicht einmal das Schlimmste, selbst wie eine Ware begutachtet zu werden, sondern die Tatsache, dass er keinen Einfluss auf das weitere Schicksal seiner Freunde nehmen konnte.
Ohne Umschweife beorderte Kapitän Ranus, der sich mittlerweile eine prächtig bestickte Toga übergeworfen hatte, einen nach dem anderen nach vorne. In schillernden Worten pries er die Vorzüge eines jeden Einzelnen und zeigte dabei ein eindrucksvolles Geschick, die Preise nach oben zu treiben.
Als Kraeh an die Reihe kam, waren Rhoderik, Sedain und zwei der ehemaligen Soldaten bereits in den Besitz eines spitzzüngigen Rotbarts, der breitbeinig in einer polierten Vollrüstung dastand, übergegangen.
»Achtzig Silberlinge«, rief die gnomenhafte Gestalt neben dem geistesabwesend dreinschauenden orkischen Leibwächter, indem sie auf den weißhaarigen Krieger zeigte. Der Preis war so hoch, dass sich der Kapitän ein vergnügtes Händereiben nicht verkneifen konnte. Niemand dachte daran, den Gnom zu überbieten.
Seinem neuen Eigentümer verging sogleich sein verschmitztes Lächeln, als Kraeh in vorgetäuschtem Selbstbewusstsein neben ihn trat und ihm in seinem eigenen Interesse nahelegte, auch das kleine Mädchen, das sich schüchtern an Lou drückte, zu erwerben. Außerdem riet er ihm, sofern er ihn wegen seines Schwertarms erworben hatte, ebenso den Schwertgurt mit den beiden magischen Klingen zu ersteigern. Widerwillig erfüllte der Gnom seine Wünsche, was Kraeh einigermaßen überraschte. Heikhe war verhältnismäßig günstig, doch die kostbar aussehenden Klingen leerten den Beutel des Gnoms fast restlos.
Lou ging nach einigem Hin und Her an einen dickleibigen, in seidene Tücher gewickelten Mann, dessen Blick während der ganzen Verhandlung kaum von ihren Brüsten gewichen war. Kein Grund zur Sorge, dachte Kraeh im Stillen. So wie sie kämpfen konnte, würde sie sich zu wehren wissen und dem Mann den fetten Wanst aufschlitzen, falls dieser zu anzüglich werden sollte. Wie um seine Gedanken zu bestätigen, nickte Lou ihm und Heikhe selbstsicher zu.
Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen, als die letzten Geschäfte abgeschlossen waren. Einer nach dem anderen verließ mit seinem neuen Herrn den Marktplatz. Für eine Nacht schliefen sie noch, wenn auch unter unterschiedlichen Dächern, so doch in derselben Stadt. - Ein kleiner Trost immerhin, doch dann trennten sich ihre Wege.
Ranus der Reiche hatte so viel eingenommen wie schon lange nicht mehr. Als er zurück auf seinem Schiff war, die eingenommenen Münzen zählte und seinen Göttern für diesen Tag dankte, ahnte er nicht, dass die Würfel wieder zurück im Becher waren und die Wette auf seinen nächsten Wurf bedenklich schlechter stand.
***
Der Frühling war fortgeschritten, die Wälder grün, die Felder wirkten gesund und versprachen eine reiche Ernte. Auf den Wiesen blühten Blumen, deren Pollen die vier Reiter eindeckten und ein gelegentliches Niesen verursachten. Es roch nach Oleander, frischem Gras und Salz, das von den vielen Deichen und Fjorden herrührte, die ihren Weg säumten wie die dichten Nadelforste. Als die Magie in die Welt zurückgekehrt war, so erzählte man sich, sei das ganze Land überspült worden. Und wirklich, kniff man die Augen zusammen und betrachtete bestimmte, vom Licht ausgesparte Flecken unter den
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