Rabenflüstern (German Edition)
so recht schlau wurde, über mögliche Tarnungen und Listen nach, die es ihnen ermöglichen sollten, ohne Aufsehen zu erregen, in die Gefilde jenes Siebenstreichs vorzudringen.
Es war am Vormittag des zwölften Tages, als in weiter Ferne zwei rote Segel auftauchten, die auf sie zuzuhalten schienen. Noch waren es winzige Flecke am Horizont. Auch durch das Fernglas, das Thorwik Kraeh reichte, war nicht zu erkennen, unter welcher Flagge sie segelten.
Um kein unnötiges Risiko einzugehen, ließen sie die Fraja nach Westen ausweichen. Als der neue Kurs stand, eilte Thorwik unter Deck, seine Karten zu studieren.
Die Sonne war ein gutes Stück gewandert, bevor er wieder die Treppe des Heckbaus hochstieg, wo Kraeh die ganze Zeit über die Schiffe beobachtet hatte.
»Und?«, fragte der Kapitän.
»Sie halten immer noch auf uns zu.«
Er nahm ihm das Fernglas aus der Hand und fluchte. Auch mit dem bloßen Auge konnte man neben den blutroten Segeln bereits deutlich die windschnittigen Bäuche ausmachen, an deren Flanken Rundschilde hingen.
»Sentaren«, murmelte Thorwik.
»Wer?«, fragte der Krieger nach.
»Piraten!« Dann schrie er Befehle, während er am Steuerruder zerrte. »An die Riemen! In die Wanten! Und schafft die Schleuder rauf!« Auf einmal war das ganze Schiff in hektischer Bewegung. Als sie endlich beigedreht hatten, blähte der Wind auch die Segel der Fraja voll auf. Doch die Schiffe der Verfolger waren kleiner und wendiger; rasch holten sie auf.
Sedain trat neben seinen Freund. »Sieht nach Messerarbeit aus, hm?«
»Lass uns hoffen, dass es nicht dazu kommt«, gab Kraeh zurück und schickte dann nach Bogenschützen. Gerade einmal fünf der brisakschen Soldaten besaßen einen Bogen, unter ihnen der Einbeinige, der in Haagstadt mit einem Holzbein versehen worden war. Sie wurden angewiesen, Lampenöl bereitzustellen, um zu gegebener Zeit die Stofffetzen damit zu tränken, mit welchen sie ihre Pfeile einwickelten. Der Halbelf behandelte seine Bolzen auf gleiche Weise und stichelte dabei. »Ziemlich gute Idee, wo er die wohl her hat …«
Zwei Männer waren nötig, die Speerschleuder zu spannen. Früher, so hieß es – und so mancher, der solche Geschichten erzählte, wurde dafür ausgelacht – habe es Apparaturen gegeben, die es ermöglichten, Eisenkugeln aus einem Rohr abzufeuern. Fast jedes Seefahrervolk hatte versucht, jenes schwarze Pulver zu gewinnen, in dem das Geheimnis jener sagenumwobenen Waffe steckte – ohne Erfolg.
Die Seeräuber, deren noch winzige Köpfe hinter den Schilden hervorlugten, besaßen überhaupt kein Kriegsgerät, schließlich hätten sie damit ihre Beute beschädigt. Sie verließen sich auf die Schnelligkeit ihrer Schiffe und ihre Wildheit im Kampf Mann gegen Mann, aber dazu wollte es die Besatzung der Fraja nicht kommen lassen. Der knochige und rotbärtige Radgar, von dem gemunkelt wurde, dass er früher selbst unter der Totenkopfflagge gesegelt war, tarierte die Schleuder so, dass ein Schuss im Idealfall die Galionsfigur des Schiffes, ein Lindwurmkopf mit weit aufgerissenem Maul, zerschmettern würde.
Vor ihnen hatte sich in weiter Ferne eine Nebelwand gebildet. Es war utopisch, sie zu erreichen, bevor die Piraten sie entern würden, dennoch korrigierte Thorwik den Kurs in ihre Richtung. Leicht versetzt verringerten die Verfolger den Abstand. Es war wichtig, die Ruder im rechten Moment einzuholen, da sie sonst Gefahr liefen, überfahren zu werden, was die endgültige Unausweichlichkeit eines Kampfes zur Folge hätte. Doch noch war es nicht so weit.
Eine Handbewegung des Kapitäns, und der erste Speer jagte zischend durch die Luft. Tief fraß er sich neben dem Lindwurm ins Holz, doch es splitterte nicht. Der Wind trug triumphierendes Freudengeheul herüber. Einer der Piraten vollzog eine obszöne Geste an dem Horn, das dem Lindwurm aus der Stirn wuchs. Seine Kameraden johlten und feuerten ihn an.
Jetzt wurden die Pfeile präpariert und angezündet. »Zielt auf die Segel«, wies Kraeh die Schützen an, während die Schleuder neu gespannt wurde. Alle fünf Brandpfeile fanden ihr Ziel. Für einen kurzen Augenblick flackerten sie auf, um sogleich wieder zu erlöschen.
»Sie haben die Segel mit Fett und Rinderblut eingeschmiert«, erläuterte Lou Rhoderik und Heikhe, die neben ihr standen und nervös die gescheiterten Versuche verfolgten, die Piraten aufzuhalten
»Gerissene Bastarde«, brummte der alte Krieger säuerlich.
Der nächste
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