Rabenflüstern (German Edition)
urzeitlichen Ungetüm gleich spuckten sie Männer, Beile und Feuer aus.
Sie stellten lediglich die Vorhut der Invasoren, doch ihr Angriff kam unerwartet früh. Viele Küstendörfer lagen in Flammen, die ersten Flüchtlinge kamen nach Skaarbrok, jammerten über den Verlust von Haus und Hof, beweinten ihre toten Ehemänner und Söhne und klagten in ihrer Sorge um die verschleppten Töchter.
Die großen Städte im Inneren des Landes waren ungeschützt und ihre Bewohner verließen sich darauf, dass keine Plünderer so tief vorstießen. Würde man den Nordmännern gestatten, einmal Fuß zu fassen, wäre das ganze Land in unmittelbarer Gefahr.
So rückte die Armee unter dem Schwanenbanner eher als geplant aus.
In den letzten Monaten hatte sich herausgestellt, dass die Worte des Königs übertrieben gewesen waren. »Stelle mir eine Armee auf«, erinnerte Kraeh sich leise. De facto war das stehende Heer bis ins Letzte durchreglementiert. Der Troll hatte in allen Entscheidungen ein Vetorecht deutlich gemacht und so hatte sich, von wenigen Umstrukturierungen, die meist die Neubesetzung eines Hauptmannpostens betrafen, abgesehen, kaum etwas geändert. Nach welcher Art die Aushebungen vollzogen würden, wenn sie denn später im Sommer mehr Männer brauchten, war ebenso wohldurchdacht wie unverrückbar. Was soll’s! , dachte sich Kraeh. Eigentlich konnte es ihm nur recht sein. Sollten doch Siebenstreich und Heilwig die Vorüberlegungen erarbeiten, jetzt waren sie auf dem Weg in die Schlacht, hier galt allein sein Wort. Er schloss zu Lou und Rhoderik auf. Insgeheim war er sich bewusst geworden, wie richtig sie gelegen hatte mit ihrem Vorwurf. Zwar hatten sie sich seither geflissentlich gemieden, aber innerlich hatte er sich ihrem Standpunkt angenähert. Bran vertraute auf ihn. Sobald sie diesen ersten Ansturm niedergeschlagen hatten, wollte er den Troll nach dem Stein fragen. Wäre dieser nicht bereit, ihn herauszurücken, würde er ihn stehlen müssen.
Hinter ihnen ritten und marschierten über tausend Kämpfer. An hinterster Stelle rollten die Karren, auf denen sich die Nahrungsmittel befanden – der Tross, der wichtigste Teil einer Armee, denn ohne ihn wurden die besten Krieger nutzlos. Insgesamt war es ein Marsch so bunt wie die Halle ihres Königs. Nach den Formations- und Waffenübungen, die drei Monde lang ihren Alltag bestimmt hatten, hatte Kraeh über Karten gebrütet und Landschaftsbeschreibungen studiert. Ohne den Rat Heilwigs, der zusammen mit dem König in der Burg geblieben war, hatte er eine strategische Entscheidung getroffen, die er seinen Gefährten nun mitteilte.
»Lou, du wirst mir das dritte, fünfte und sechste Regiment nach Südwesten führen. Wir trennen uns morgen in der Dämmerung. Am Abend müsstet ihr auf den Feind treffen.«
Sie wirkte überrascht, sagte aber nichts. Die Drude ahnte darin sein Entgegenkommen, vielleicht sogar so etwas wie eine Entschuldigung. Sie würde endlich wieder eine Armee in die Schlacht führen.
»Der Rest kommt mit mir nach Osten. Danach bewegen wir uns aufeinander zu. In der Mitte liegt eine Ruine, die in alten Zeiten den Namen Wetterfeste trug. Dort treffen wir uns, in spätestens sieben Tagen. Lasst keinen Nordmann am Leben und erbeutet so viele Schiffe, wie ihr könnt.«
Lou runzelte die Stirn. War es wirklich eine gute Idee, die Streitkräfte aufzuteilen? Auch erriet sie, dass diese Vorgehensweise nicht abgesprochen war. Sie hob an, etwas einzuwenden, doch Kraeh schnitt ihr das Wort ab, bevor sie dazu kam.
»Wer zuerst bei der Wetterfeste ist, hat gewonnen!«, rief er ihr zu, schnalzte mit der Zunge und sein Rappe sprengte auf einen Hügelkamm zu, der sich zu ihrer Rechten erhob. Der Skalde, den er in Sold genommen hatte, Lieder und Gedichte über seine Ruhmestaten zu schreiben, folgte ihm auf den grasbewachsenen Kamm, wo er anhielt, um die Horde seiner Männer zu begutachten. Eigentlich hielt er nichts von der Selbstbeweihräucherung der großen Helden und Könige, die sie sich mit der Auftragsdichtung verschafften, doch der günstige Empfang am Hofe Siebenstreichs hatte ihm gezeigt, wie wichtig ein guter Ruf für einen Krieger war. Hätte dieser nicht irgendwann, vermutlich mehr aus Zufall, eines dieser Lieder über ihn gehört, wie denkbar schlecht hätte dann seine Ankunft ausfallen können. Er dankte seinem Fürsten Bran für seine Weitsicht in diesen Dingen.
Der Skalde war ein hagerer Mann mittleren Alters, dem, außer seiner immer
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