Rabenflüstern (German Edition)
wirkenden König war eine gewisse Anspannung anzumerken.
Während die Barden eine Pause einlegten, setzte Lou die Flöte an die Lippen und spielte eine eingängige Weise. Sie handelte von der Klage einer Mutter, deren Söhne einer nach dem anderen in einem Krieg fern der Heimat fielen. Nicht einmal ihre Leichname fanden den Weg zu ihr zurück und so beweinte sie einsam das Schicksal ihrer vier Buben. Die Geschichte war über die Ländergrenzen hinaus altbekannt und die traurige Melodie brachte so manchen harten Mann dazu, verstohlen eine Träne aus den Augen zu wischen. Gelegentliches Nicken und feuchte Blicke zollten der Drude einen stummen Applaus, als sie geendet hatte.
Die Barden spielten wieder auf, doch die bunte Halle leerte sich früher als gewöhnlich. Bei Tagesanbruch würden die nach und nach zu Bett Gehenden sich auf dem großen Platz vor der Halle versammeln, wo der neue Kriegsherr ihnen seine Befehle verkünden würde.
Kraeh nahm nicht an der Unterredung teil, die an seinem Tisch geführt wurde. Still saß er da und schmiedete Pläne. Nur gelegentlich sprach er mit Heilwig, dem die aktuellsten Meldungen der noch zu später Stunde eintreffenden Kundschafter überbracht wurden. Vier Monde, schätzte er, würde es dauern bis zu der Invasion. Nach den kläglich ausgefallenen Eroberungsversuchen der nahen Vergangenheit hatten sich viele der Sippen, die sich normalerweise ständig in den Haaren lagen, zusammengeschlossen, um dem gemeinsamen Feind diesmal hart zuzusetzen. Wo verdammt war Sedain? Und was tat er hier überhaupt? Er kämpfte unter fremdem Banner für ein Untier von einem König. Tat er es wirklich nur, um auf eine Gelegenheit zu warten, den Stein an sich zu bringen? Etwas war merkwürdig, irgendetwas stimmte nicht, das sagte ihm deutlich sein Bauchgefühl, aber er konnte nicht ausmachen, was es war.
Erst bemerkte er gar nicht, wer sich ihm gegenüber niedergelassen hatte. Als die Drude sich räusperte, schaute er auf. Lange las sie in den eisblauen Augen des Kriegers, die im Schein der Kerzen leicht flackerten, dann sagte sie:
»Sieh dich vor. Wenn du nicht aufpasst, wirst du am Ende plötzlich erwachsen.«
Er hatte etwas anderes erwartet.
»Keine Sorge«, meinte er steif, »so weit wird es nicht kommen.«
Wieder verstrich die Zeit wortlos.
»Nun sind wir hier«, brach Lou schließlich das Schweigen. »Hast du gefunden, was du suchtest?«
Wäre er ehrlich gewesen, hätte er sich eingestehen müssen, den Lia Fail bis gerade über all den Kriegsplänen vergessen zu haben. Selbstverständlich fertigte er sie kurz mit dem exakten Gegenteil ab. »Ich weiß genau, was ich tue.«
»Soso«, sagte sie. »Weshalb beteiligen wir uns dann an einem Krieg, der uns nichts angeht?«, fügte sie mit einiger Schärfe hinzu.
Kraeh war ihre Kritik leid. »Damit sich dein Lied bewahrheitet. Im Übrigen solltest du, Drude, darüber nachdenken, die Löcher in deinem Stock«, er deutete auf ihre Flöte, »zu halbieren. Vielleicht wärst du dann in der Lage, ihm einen angenehmen Ton zu entlocken.« Damit ließ er sie sitzen und begab sich an einen anderen Tisch.
Sie ärgerte sich über die herablassende Art, in der sie mit ihm gesprochen hatte, mehr jedoch über den Dickschädel des Kriegers, Kraeh dagegen ärgerte sich ausschließlich über Ersteres. Er beschloss, sein selbst auferlegtes Zölibat zu beenden, was ihm in seiner Rolle als Befehlshaber über die ganze Armee des Landes nicht schwerfiel. Gleich zwei Frauen folgten ihm willig. Die eine, Isa, war ein ätherisches Wesen, deren hellblond gelockte Haare ihre weichen Gesichtszüge wie Gold umflossen. Auf sie hatte er schon lange ein Auge geworfen. Sofern er richtig gesehen hatte, war sie die Bettgefährtin eines grobschlächtigen Orks, was ihn aber nicht weiter störte. Die andere war ihr genaues Gegenteil. Ein dämonischer Paradiesvogel im dunklen Schleier einer beinahe pechschwarzen Haut. Ein Lederband hielt ihre kurze schwarze Mähne in einem Pferdeschwanz zusammen. Sie war launisch und direkt. Im Stillen nannte er sie Lou.
Sein Lager befand sich im zweiten Stock. Von einem langen Gang ging die Tür zu seinem spärlich eingerichteten Zimmer ab. Neben ihm wohnten die Bretonen, die der Einschätzung des Kriegers nach niemals schliefen. Ihre Debattierfreudigkeit wetteiferte mit dem Stöhnen der drei, bis der Morgen graute.
***
Rasch war der Sommer gekommen und mit ihm die Drachenboote der Nordmänner. Einem
Weitere Kostenlose Bücher