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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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dann geschah etwas, womit der stolze Gott nicht gerechnet hatte – Kraeh habe ich es schon gesagt, doch weise ich nochmals darauf hin, ich drücke mich bildlich aus –, seine Widersacher, die alten Götter waren beinahe vergessen, einige hatten es geschafft, sich in Tümpeln, Quellen und kleine Haine zu retten, da war es auf einmal der Mensch selbst, der sich von ihm abwandte.« Heilwig lächelte finster. »Er musste gedacht haben, wenn es erst keine anderen Götter mehr gäbe, bliebe den Menschen nichts anderes übrig, als ihm zu huldigen und damit seine Macht zu mehren, aber sie wählten einen anderen Weg, erklärten ihn für tot und machten sich damit selbst zu Göttern. Das Zeitalter der Vernunft war angebrochen. Nichts als ein anderer Name für die eigene Selbsterhöhung. Der Gott war von jeher eifersüchtig; wie ihm klar wurde, dass er auf verlorenem Boden stand, griff er zum Äußersten. Obgleich es die Vernichtung der Erde bedeuteten konnte, schloss er einen Pakt mit den alten, vertriebenen Göttern. Ungefähr musste sich das so angehört haben: ›Also, ihr alten Hammerschwinger, Hebammen und Flötenspieler, ich habe euch lange übel zugesetzt. Lasst uns den alten Zwist vergessen, schlussendlich wurden wir alle verraten. Holen wir uns zurück, was unser ist!‹ Mit vereinten Kräften beschworen sie das, was der Mensch verleugnet hatte, namentlich alles, zu dem sein Verstand keinen Zugang fand. Im Innersten der Erde erwachte die Urgewalt, die Welt rumorte und stöhnte, da die längst vergessenen Kraftadern in neuem Leben zu pulsieren begannen. Die pure Energie, aus welcher einst gar die Götter noch vor der Zeit geboren wurden, drehte die Sanduhr des Lebens um. – Aber was erzähle ich da, ihr kennt bestimmt die Sagen über das Erwachen …« Niemand kannte sie wirklich, das sah Kraeh an den hellwachen Blicken seiner Freunde, doch der Kobold gab keine Gelegenheit zur Nachfrage. 
    »Mir geht es darum, euch darauf aufmerksam zu machen, dass es nun wieder so weit ist. Der Gott, der seinem Wesen nach die Alleinherrschaft will, sammelt seine Anhänger von Neuem. Zwei seiner Propheten sind bereits erschienen, doch …« Er stockte. »Da ist noch etwas anderes, das ich nicht verstehe … noch nicht.« Der zuvor so angenehme Wind schien auf einmal kälter. Die Sonne waberte wie eine versiegende Quelle auf dem dunklen Ozean, der sie zu verschlucken drohte. Ein Schauer lief Kraehs Rücken hinab. 
    »Du sprichst von diesem Ba’al?«, fragte er vorsichtig nach. 
    »Sprich seinen Namen nicht so laut aus!«, zischte Heilwig. 
    »Wie dem auch sei«, endete er, die Unterredung wurde ihm merklich unbehaglich, »seid euch gewahr, der Krieg findet nicht allein auf dem Schlachtfeld statt. Mächte sind am Ringen, denen Stahl nichts anhaben kann. Wappnet euren Geist.« Damit huschte der Berater des Königs zurück in Richtung Halle. 
    »Halt«, rief Kraeh ihm nach, »was ist denn nun bei den Bretonen vorgefallen?« 
    »Was denkst du wohl?«, schnaubte der Kobold verächtlich über die Schulter hinweg. »Der zweite Prophet der neuen Zeit ist aufgetaucht.« 
    Die drei Krieger blieben ratlos und mit einem unguten Gefühl im Bauch an der Mauer zurück. Der zweite? Wer war denn der erste? Theodosus? Ohne den Namen noch einmal auszusprechen, klärte Kraeh die anderen über das wenige auf, was Siebenstreich ihm über den Dämon berichtet hatte, der in den Rheinlanden Fuß gefasst haben sollte. 
    An den nächsten Abenden verbrachten sie viel Zeit mit Orthan. Zum einen mochten sie den hageren Mann, dessen katzengrüne Augen stets ein wenig silberfischartig dreinblickten, zum andern wollten sie mehr über die vergangenen Geschehnisse in Erfahrung bringen. Und tatsächlich wusste Orthan einiges zu berichten, wobei sie jedoch stets das Gefühl überkam, er spare gewisse Dinge aus. Der böse Zauberer war ganz offensichtlich ein Prophet dritten Typus gewesen. Er hatte ein nicht unbeträchtliches Gebiet unter seine Kontrolle gebracht. Frauen, die im Volk als besonders klug galten, hatte er vor seinen Männern geschändet, bevor man sie auf Scheiterhaufen verbrannt hatte. Am Ende jedoch hatten sie ihn in eine Falle gelockt. Die Ritter am Tisch lachten grollend, als Orthan erzählte, wie er sich mit einigen Taschenspielertricks den Verdacht der Hexerei zugezogen hatte. Luitgher, ursprünglich aus den Rheinlanden kommend, hatte von dem Ketzer gehört und war in das Dorf ausgezogen, in dem Orthan, wie er zugab, auch unter Anwendung

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