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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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zu. 
    Da Kraeh mit solch einem gekonnten Angriff nicht gerechnet hatte, traf sie ihn ungebremst in die Lenden. Die Hände vor den Schritt haltend sank er zu Boden. – Alle lachten, und Orthan vergaß sogar seine Gebrechen. Schlinger bellte laut. 
    Das Mädchen sprang schnell auf ihn zu und entschuldigte sich bestürzt. Ohne eine Miene zu verziehen, behauptete Kraeh, es ginge schon wieder, und gratulierte ihr zu dem gekonnten Treffer. 
     
    Die Tage plätscherten dahin, harmonisch, aber auch monoton. So stieß ein Bericht von Rhoderik, der trotz der grimmigen Witterung gemeinsam mit dem Bogenschützen Henfir regelmäßig zur Jagd ausritt, auf Kraehs Interesse. Er erzählte von einem Hirsch, einem prächtigen Zwölfender, dem sie nun schon zum dritten Mal begegnet seien. Es war bereits nach Mitternacht und der Alte hatte gut über den Durst getrunken, was die Kriegskrähe jedoch nicht davon abhielt, ihm Glauben zu schenken. Sie saßen sich an einer der langen Tafeln in der bunten Halle gegenüber. Gesprächs- und Gesangsfetzen vermischten sich mit Schweißgeruch und beißenden Rauchschwaden. »Ehrlich, Kraeh«, sagte der Alte, »ich bin nicht schlecht im Schießen, obwohl ich früher natürlich besser war. In Henfirs Nähe aber gibt es nur Zyklopenfliegen, wenn du verstehst, was ich meine.« Er zwinkerte ihm trunken zu. 
    »Doch jedes Mal, wenn wir auf den Hirsch anlegten und uns sicher waren, ihn nicht verfehlen zu können, schienen die Pfeile im Flug abgelenkt zu werden. Es war, als würde sich die Welt krümmen, um ihn zu schützen. Danach sah er uns stets einige Momente aus seinen unerforschlich braunen Augen an, dann verschwand er einfach zwischen den Bäumen. Fast fühlte ich mich schuldig, ihm überhaupt nach dem Leben getrachtet zu haben.« Rhoderik stöhnte und wünschte Kraeh eine gute Nacht. Er habe schon genug getrunken, sein Alter spiele ihm übel mit, meinte er noch, bevor er sich schwankend erhob. 
    Beim nächsten Mahl erkundigte Kraeh sich nach der Stelle, wo sie auf das Tier gestoßen waren. Das Angebot des Alten, er könne ihn zu dem Ort führen, schlug er freundlich aus. Es sei ihm lieber, den Ausflug alleine zu unternehmen, ein Mann brauche zuweilen die Einsamkeit, was der Alte nur zu gut verstand. 
    In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages bepackte er seinen Rappen mit Pökelfleisch, einem Laib Brot und einem mit mildem Apfelwein gefüllten Trinkschlauch. Seine Schwerter hatte er auf den Rücken gegürtet und zusätzlich, da er ein lausiger Schütze war, einen Wurfspeer unter die Achsel geklemmt. Verschlafen wuchteten die Wachen am Tor einen Flügel auf und er ritt, seine Fellweste eng um den Körper geschlungen, den Wäldern entgegen. 
    Die wenigen Häuser und Hütten, an denen er vorbeikam, hatten die Türen verrammelt, und die Aussparungen in Stein und Lehm, die an wärmeren Tagen für Durchzug sorgten, waren zum Schutz gegen die Kälte mit Fellen verhangen. Es hatte noch keinen Frost gegeben, doch sämtliche Felder lagen brach. Gegen die Mittagszeit erreichte er den ausgewiesenen Waldrand, was Kraeh aufmunterte, da die Kronen der Bäume trotz ihrer fallenden Blätter ein Dach gegen den leichten Nieselregen versprachen. 
    In leichtem Trab trugen ihn die kräftigen Muskeln seines Reittiers durch einen zunehmend dichter werdenden Buchenwald. Als die Bäume eng beieinanderstanden, immer wieder durchsetzt mit alten Eichen, erblickte er schließlich eine Felsformation, wie Rhoderik sie beschrieben hatte. Er ließ das Pferd langsamer gehen und sah sich aufmerksam um. Nicht die geringste Spur jenes mysteriösen Hirsches war auszumachen, also stießen Mann und Tier tiefer in den Forst vor. Auf Kraeh wirkte es immer mehr, als würden die Äste und ausladenden Wurzeln eine Art Tunnel um sie bilden. Farne reichten dem Rappen bis weit über die Fesseln. Bis auf das ferne Hämmern eines Spechts war es still. Sein Griff am Schaft des Speers verfestigte sich, als sich das, was ihm wie ein Weg erschien und vermutlich nicht mehr als ein Wildpfad war, teilte. Kurzerhand entschied er sich für den Kamm eines natürlichen Hohlweges, in dessen Bett sich einmal ein Bachlauf ergossen haben mochte. 
    Es fiel ihm schwer, die Tageszeit zu schätzen, die wenigen Ausschnitte des Himmels, deren er ansichtig wurde, waren von dichten Wolkenbänken verhangen. Der Untergrund wurde schlüpfriger, je weiter er vorankam. Schließlich stieg der Krieger ab und ging zu Fuß weiter, das Pferd führte er an den

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