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Rabenmond - Der magische Bund

Titel: Rabenmond - Der magische Bund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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War verblutet, im Stillen, ohne ein Wort. Ein trockener Schrei stieg Mion in die Kehle, würgte sie. Sie schüttelte den Kopf. Sie glaubte es nicht, sie weigerte sich, es zu glauben.
    Ihr größter Feind, ihr bester Freund. Ihr Traum, ihr Trugbild. Ihr Alles. War tot.

Abschied
    E ine Flamme nach der anderen versiegte in den Wachspfützen. Reglos stand Mion in Federn, Staub und Dunkelheit, unfähig, den Blick von den dreien loszureißen.
    Nach einem Leben des Hasses waren sie zusammen gestorben. In dem Glauben, sich zu lieben. Ob das die Wahrheit gewesen war oder doch nur die Verherrlichung einer Erinnerung - einen Unterschied machte es nicht mehr. Lüge und Wirklichkeit schienen nur noch eine Frage der Zeit … des Augenblicks... Und Mion? Konnte sie ihn denn geliebt haben, obwohl sie ihn nie gekannt hatte?
    Aber vielleicht stimmte das nicht - vielleicht war nicht alles an Jagu Schein gewesen. Sein wahres Gesicht war nicht hinter den Masken von Zärtlichkeit und Bosheit verborgen gewesen, sondern hatte sich wie ein flüchtiges Lächeln auf beiden gezeigt.
    Mion fröstelte. Sie hätte an Faunias Stelle sein sollen - sie war es, die Holypta hatte töten wollen. Aber sie war noch nicht bereit zu sterben; noch gab es etwas, an das sie sich klammern konnte. Die Kaiserin hatte gesagt, Lyrian sei verschwunden, womöglich in der Gewalt der Drachen oder Rebellen... oder er war allein, in Sicherheit. Es war eine armselige Hoffnung, gewiss, aber es war alles, was Mion hatte.
    Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht. Draußen erscholl ein markerschütterndes Krachen, als ein brennendes Gildenhaus einstürzte. Der Raum bebte. Federn wirbelten auf und fielen sanft wie Schneeflocken auf die Toten.
    Sie fasste Mut und ging. Sie tastete sich die finstere Geheimtreppe hinab, schob das Gemälde zur Seite und durchquerte den Korridor. Helligkeit hauchte ihr entgegen, als sie den leeren Theatersaal erreichte.
    Alles war verwüstet. Eine Säule war umgestürzt, die Polsterstühle lagen zertrümmert da. Zwei Diener waren auf der Treppe nach draußen von Löwenpranken niedergestreckt worden.
    In der Eingangshalle fand Mion eine furchtbar zugerichtete Frau, deren gelber Umhang kaum die Wunden verbergen konnte, an denen sie gestorben war - es musste eine Sphinx gewesen sein. Mion wandte rasch den Blick ab und schob die Tür nach draußen auf.
    Ein eisiger Windstoß trieb ihr Schneekörner ins Gesicht. Sie bibberte in ihrem dünnen Kleid. Die Arme fest um sich geschlungen, stapfte sie die verschneite Straße hinauf. Mühevoll versuchte sie, sich vorzustellen, dass das, worüber sie stolperte, nur Eisbrocken waren.
    Jagu im Kreidekreis .
    Sie schluchzte. Das Bild kehrte immer wieder zurück.
    In der Ferne ragte der Palast aus roten Aschewogen auf. Mion blieb stehen, weil der Anblick sie für einen Moment vor Furcht erstarren ließ. Die weißen Gemäuer hatten sich in ein Vulkangebirge verwandelt. Irgendwo zwischen Turmzähnen und Feuerschluchten war Lyrian.
     
    Bald konnte sie sich nicht mehr einreden, dass nur Eisbrocken in den Straßen lagen. Das Wimmern der Verwundeten schwoll an. Wo Feuerschein aus brennenden Häusern schwappte, begann Mion zu rennen, damit sie das Grauen ringsum nicht sehen musste. Wenigstens wurde hier nicht mehr gekämpft; längst waren die Menschen tiefer ins Reich der Drachen vorgedrungen und hatten den Palast gestürmt.
    Einmal kam eine wilde Horde auf sie zugelaufen und Mion blieb fast das Herz stehen vor Schreck; aber es waren nur Flüchtlinge, die nicht auf den Sieg der Rebellen warten wollten, um Wynter zu verlassen. Mit angsterfüllten Augen hetzten sie an Mion vorbei und übersahen sie ebenso stur wie die Körper auf dem Boden.
    Immer wieder kreuzten Menschen auf der Flucht ihren Weg, manchmal Familien, manchmal ganze Nachbarschaften. Auch einzelne Männer und Frauen, die verwundet waren oder unter der Last ihrer Bündel taumelten, teilten sich mit ihr die Nacht wie Geister. Nur eine ältere Frau mit zwei Kindern murmelte ihr zu: »Du läufst in die falsche Richtung, Mädchen!«
    »Ich bleibe«, flüsterte Mion erstickt. Die Alte war schon weitergeeilt, schüttelte den Kopf und wiederholte: »In die falsche Richtung!«
    Mion erreichte die Palastmauern. Keine Sphinxe hielten mehr Wache. Wenn sie nicht alle umgebracht worden waren, hatten sie ihre Korpusse inzwischen bestimmt verloren. Es war längst nach Mitternacht.
    Sie beschleunigte ihren Schritt, lief durch das erste Tor, begann zu rennen. Der Wind, der

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