Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
vermutlich nicht erzählen, dass sie sich später doch noch mit Ulissa angefreundet hat? Sie fühlte sich sicher in Ulissas Nähe.“
Elsa setzte sich auf ihr Bett und starrte auf den Boden, auf die trockenen Blätter, die dort lagen. Er wusste es und sie wusste es auch, dass Agnes ihre Erinnerung an Ulissa mitgenommen hatte ins nächste Leben. Vielleicht wollte sie genauso stark und furchtlos werden wie ihre Freundin. Vielleicht war es aber auch nur Dankbarkeit, weswegen sie ihr neues Leben mit Ulissas Gesicht begonnen hatte und es seither für ihr eigenes hielt.
„ Agnes hatte die gleichen Augen wie du“, sagte Anbar. „Zwar waren ihre blau und nicht so dunkel wie deine, aber es steckte das gleiche Nichts darin, vor dem sich die Leute fürchten. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hätte ich schwören können, dass es die gleichen Augen sind.“
Er betrachtete wieder die Zeichnung.
„ Du siehst zwar aus wie Ulissa“, stellte er fest, „aber den Charakter dieses Kindes hast du behalten. Du bist Agnes wesentlich ähnlicher als Ulissa.“
„ Ist das so?“, fragte Elsa. „Das gefällt mir nicht.“
„ Oh, aber mir gefällt es“, sagte er. Er löste seinen Blick von der Zeichnung und schaute Elsa an. „Du bist wesentlich pflegeleichter als Ulissa.“
„ Pflegeleichter!“
„ Ja. Dafür steht dir ihr Gesicht ganz gut“, sagte er. „Wer hat dich eigentlich so herausgeputzt? War das Amandis?“
Elsa war kurz sprachlos.
„ Dann bist du vermutlich auch der Ansicht, dass meine Nase heute viel besser in mein Gesicht passt als vor vier Jahren?“
„ Ich wusste schon vor vier Jahren, wie sich deine Nase entwickeln würde. Ich hatte mich ja erst kurz vorher mit dem Original herumgeärgert. Wer lässt sich denn über deine Nase aus? Romer?“
„ Ja“, sagte Elsa, nahm Anbar die Zeichnung aus der Hand und brachte sie an ihren Platz zurück. „Er will heute Nachmittag Amandis’ Seele erobern, weil sein Leben ohne sie sinnlos ist, und danach will er mit mir Wein trinken.“
„ Was du hoffentlich nicht tun wirst, denn weder Romer noch Wein sind gerade gut für dich.“
„ Nein, das hatte ich auch nicht vor.“
Er beugte sich über den Tisch und beschattete seine Augen mit den Händen, um sie besser sehen zu können.
„ Kannst du dich an Agnes erinnern?“, fragte er. „Weißt du, dass du schon mal hier gewesen bist?“
„ Ich träume manchmal von ihr. Aber es macht mir keinen Spaß. Glaubst du, dass Romer bei Amandis Erfolg hat?“
„ Ich hoffe es. Ich habe ihm sehr dazu geraten, es zu probieren.“
Elsa war überrascht. Sie war gerade dabei gewesen, das Bild wieder aufzuhängen, doch nun ließ sie es sinken und sah Anbar erstaunt an.
„ Das hast du? Gehört sich das für jemanden, der bei der Hochzeit für Amandis’ Vater einspringen soll?“
„ Als Bruder springe ich ein, nicht als Vater. Ich will ihr Bestes und das Beste für Nada. Beide bedeuten mir sehr viel. Sie sollten auf keinen Fall heiraten.“
„ Amandis sollte lieber Romer heiraten?“
„ Nein, das nun auch wieder nicht. Aber Romer ist weg, bevor es dazu kommen könnte. Es hält ihn nie lange bei den Seelen, ohne die sein Leben sinnlos ist.“
„ Ach ja? Vielleicht ist es diesmal anders?“
„ Nein, so weit ist er noch nicht.“
Elsa war verwirrt. Sie hängte das Bild an die Wand, kehrte zu ihrem Bett zurück und setzte sich ans Fußende. Anbar fest im Blick, ihr Buch immer noch an sich gedrückt, machte sie ihrem Unmut Luft:
„ Das willst du ihr antun? Amandis mit einem Mann verkuppeln, der sie im Stich lassen wird?“
„ Das macht doch nichts“, sagte er ungerührt. „Romer ist so etwas wie eine Kinderkrankheit. Die Mädchen erwischt es, wenn sie erwachsen werden. Das Fieber ist kurz und heftig und wenn es vorüber ist, sind sie schlauer als vorher.“
„ Schlauer sind sie dann? Unglücklicher wahrscheinlich!“
„ Eins bedingt das andere, aber das Unglück geht vorbei. Es ist ja nicht so, dass Romer die wahrhaftige Erfüllung eines Mädchentraums ist, sondern dass er genau weiß, was er tun muss, um dafür gehalten zu werden. In Amandis’ Fall wäre mir das nur recht. Sie ist sowieso anfällig für solche Schaumschläger und dann ist es doch besser, sie fällt vor ihrer Ehe auf Romer herein als während ihrer Ehe auf irgendeinen anderen.“
„ Vielleicht liegst du aber auch vollkommen falsch“, sagte Elsa. „Wenn Nada und Amandis heiraten wollen, dann werden sie schon wissen, warum.“
„
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