Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
lieblich aussah. Sie bekam die beste Wegerklärung, die man sich wünschen konnte.
Elsa bedankte sich mit dem sanften Lächeln, wie es für Amandis typisch war, und folgte den Wegweisungen, bis sie vor einem weiß gestrichenen Bäckerladen stand, dessen Brotagebäck so satt duftete, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Sie war schrecklich hungrig. Doch sie besaß kein Geld, keine einzige Münze, um sich etwas zu kaufen. Schweren Herzens und mit leerem Magen wandte sie sich ab und folgte der Gasse ein Stück bergauf. Ein blau gestrichenes Haus, schmal wie die anderen, musste es sein. Sie erkannte es an den Gardinen mit Blumenmustern, oben im ersten Stock. Die hatte sie nicht vergessen.
Und nun musste sie mutig sein. Leichtsinnig mutig, denn es war nicht ausgeschlossen, dass ihr Möwen oder Ausgleicher die Tür öffneten. Es war jedoch die einzige Spur, die zum Buch führte, und so wollte sie es wagen. Sie holte einmal tief Luft, trat durch die unverschlossene Haustüre und stieg die Treppen empor. Hier hatte sich nichts verändert. Es machte sie wehmütig. Regelrecht krank. Aber das war jetzt nicht angebracht. Sie gab sich einen Ruck und stand vor der Wohnungstüre ohne Klingel oder Klopfer. Sie horchte. Bestimmt war keiner zu Hause und so trommelte sie beherzt gegen die Glasscheibe.
„ Hallo! Ist hier jemand?“
Das Herz blieb ihr fast stehen, als die Tür aufging, ohne Vorwarnung.
„ Entschuldigen Sie, dass ich störe“, sagte Elsa und stellte erleichtert fest, dass ihr Gegenüber weder argwöhnisch, noch besonders wachsam aussah. Eine Frau und deren Kind zeigten freundliches Interesse.
„ Ich habe hier vor Jahren ein Buch vergessen, als ich einen Freund besucht habe. Nun frage ich mich, ob Sie es vielleicht gefunden haben?“
Die Frau überlegte kurz.
„ Nicht dass ich wüsste. Wie heißt es? Wie sah es aus?“
Elsa zeigte die ungefähre Größe mit den Händen an.
„ Es war schon etwas mitgenommen. Ein älteres Buch. ‚Bolhins Reisen’ hieß es. So eins haben Sie nirgendwo gesehen?“
Die Frau schüttelte bedauernd den Kopf. Das Kind kam hinter ihrem Rock hervor und tanzte auf einem Bein herum. Es hatte hellblonde Engelslocken und Elsa hätte nicht sagen können, ob es ein Junge oder ein Mädchen war.
„ Dann muss ich meinen Freund danach fragen. Vielleicht hat er es eingesteckt. Kennen Sie ihn? Er heißt Romer.“
Die Frau hob die Augenbrauen.
„ Romer haben wir schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Er ist viel im Ausland. Vielleicht weiß jemand im Roten Hahn, wo er gerade ist. Dort trifft er sich gerne mit Freunden. Wir waren früher auch dort, bevor Angelis auf die Welt kam.“
Sie streichelte dem strahlenden Kind den Lockenkopf.
„ Wo ist der Rote Hahn?“
„ An den Felswänden oberhalb der Mittelstadt. Aber gehen Sie erst hin, wenn es dunkel wird. Vorher ist da nichts los.“
Elsa nickte. Das war eine Auskunft. Bis zum Abend musste sie sich etwas zu essen besorgen, sonst würde sie im Roten Hahn umkippen. Bevor sie ging, hielt ihr das Kind noch die ausgestreckte Hand hin. Darauf lag eine Muschel, feucht von Spucke.
„ Igitt, Angli, das mag die Dame bestimmt nicht haben.“
„ Da!“, rief das Kind strahlend.
Elsa nahm die nasse Muschel entgegen. Es kam nicht oft vor, dass ihr jemand so freudig ein Geschenk überreichte.
„ Danke“, sagte sie und steckte die Muschel in die Tasche.
Die Nacht über Brisa war sternenklar. Elsa sah bewundernd zum Himmel empor, dann wieder hinab auf die Stadt unter ihren Füßen. Wie ein Schmuckstück sah sie aus mit all den Lichtern, die in Laternen und Fenstern brannten. Elsa war die steilen Treppen emporgestiegen, die zu den Felswänden oberhalb der Stadt führten. Nun ging sie einen Trampelpfad entlang, der zu einer geöffneten Tür im Fels führte. Ein großer, roter Wasserhahn hing darüber und davor saß ein Mann auf einem Fass und hielt einen Birrakrug in der Hand.
„ Nur hereinspaziert, Mädchen. Deine Verabredung hat dir bestimmt schon ein Boot reserviert.“
Er hatte ja keine Ahnung. Elsa nickte wie zum Gruß und trat ins schwach beleuchtete Innere. Während sie eine ellenlange Treppe hinabstieg, die tief in den felsigen Untergrund führte, musste sie aufstoßen. Sie hatte nämlich ein kleines Abenteuer hinter sich, in dessen Verlauf sie einen ganzen Fisch mit Kopf und Schwanz an einem Stück heruntergeschluckt hatte. Eigentlich hatte sie sich in Gestalt einer Möwe nur ein paar Essensreste am Rathaus-See stibitzen
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