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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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hatte sie gekannt, bevor sie an deren Gesichter geraten war. Die einzige Erklärung, die ihr dafür einfiel, war, dass sie die beiden in ihrem letzten Leben getroffen haben könnte. Bevor sie gestorben war. Was für ein Gedanke! Den wollte sie gar nicht denken. Sie drehte dem Spiegel den Rücken zu und versuchte ihr Glück erneut.
    Zwei Frauen gingen durch den Gang, der an die Umkleidekabinen grenzte. Elsa hörte, wie sie miteinander sprachen. Da ging es um den glorreichen Sieg von König Nadas Truppen, die die Eindringlinge in die Berge zurückgejagt hätten, wo sie auch hingehörten. Natürlich hätten die Heere von Istrian ihren Anteil am guten Ausgang der Schlacht gehabt. Wie gut, dass König Nada zu den Nachbarreichen so gute Beziehungen pflegte. Er war eben doch ein weiser Herrscher. Und was für ein Glück, dass er die Belagerung ohne Schaden überstanden hatte. Wer hätte sonst die Regierung übernommen? Er hatte doch keinen Erben.
    Die Frauen verließen den Gang in Richtung Bad. Elsa wunderte sich, dass in der Unterhaltung weder Möwen noch Raben noch Ausgleicher vorgekommen waren. Aber dann fiel ihr ein, dass Sistra immer den Anschein gewahrt hatte, sobald sie es mit Einheimischen zu tun gehabt hatte. Sommerhalt war ein Land in einer Welt, die von sich glaubte, sie sei die einzige weit und breit. Ob König Nada das auch glaubte? Eigentlich war es nicht einfältig, so etwas zu glauben. Sie hatte es selbst die längste Zeit ihres Lebens getan, damals in Istland.
    Jetzt musste sie sich wieder dem Problem ihres Äußeren zuwenden. Sie konzentrierte sich auf alle möglichen weiblichen Gestalten, die sie kannte: angefangen bei einer Kioskbesitzerin aus Rosenrink über Tinka aus Hagl bis zu Sinhine aus Bulgokar. Doch alles, was sie zustande brachte, war eine blutige Elsa oder eine blutige Amandis. Irgendwann reichte es ihr. Sie schlich sich als Amandis aus ihrer Kabine und schrubbte an einem Wasserbecken, das nach Rosen duftete, ihren Hals, ihre Haare und ihr Gesicht. Dann klaute sie einen Seidenschal vom Kleiderhaken und wickelte ihn sich um den Kopf, in der Hoffnung, dass es modisch aussah und Amandis’ Gesichtszüge vor den Leuten verbarg. Doch niemand beachtete sie, als sie auf Brisas Straßen trat. Die Leute waren zahlreich unterwegs an diesem schönen Tag und sie alle redeten über die bösen Aufständischen, die sich jahrelang in den Korren verschanzt hatten. Aus heiterem Himmel hatten sie am gestrigen Morgen Schloss Hagl angegriffen, doch in Windeseile waren Sommerhalts Soldaten und die verbündeten Heere angerückt, um den König zu schützen und zu befreien. Noch bevor die Nacht hereingebrochen war, hatten die Retter das belagerte Schloss erreicht und die Eindringlinge zum Rückzug gezwungen. Diese waren in ihre Verstecke in den Bergen geflohen und bestimmt sei so bald nicht mehr mit ihnen zu rechnen.
    Das war ein frommer Wunsch, den Elsa teilte. Sie rannte treppauf, bis sie die Mittelstadt und den Rathaus-See erreichte. Von dort aus war sie mit Anbar zu dem Haus gegangen, in dem sie ‚Bolhins Reisen’ hatte liegen lassen. Der See war heute leuchtend blau. Boote und Schwäne glitten darüber hinweg und Kinder ließen farbige Blüten aus Papier schwimmen. Auf Bänken, Mauern und Kissen saßen die Bewohner von Brisa, um gemeinsam zu essen, zu trinken und den sommerlichen Tag zu genießen. Ein Junge mit Sommersprossen fütterte die Möwen mit Brotastücken. Fasziniert betrachtete Elsa die großen Vögel, wie sie mit den weißen Flügeln schlugen und die Brotastücke mit ihren langen Schnäbeln aus den Fingern des Jungen pickten. Eine Möwe sein, das musste Elsa auch mal ausprobieren. Aber jetzt hatte sie keine Zeit dazu. Sie wandte sich von dem ausgelassenen, städtischen Picknick ab und bog in eine Gasse mit schmalen, hohen Häusern ein. Waren sie hier gegangen? Oder dort hinüber, wo der Brunnen in einem Meer von roten Blumen sprudelte? Blumen waren damals nicht gewachsen. Elsa blieb zögernd stehen. Nach links gehen oder nach rechts? Alles sah so ähnlich aus.
    Ihr fiel die Begegnung ein, die sie gehabt hatten: mit Ega Miss und Edon Weiss. Es war ein schwieriges Zusammentreffen gewesen, da Elsa die beiden hätte kennen müssen. Sie erinnerte sich, wie sie verlegen in das Schaufenster eines Bäckerladens gestarrt hatte. Sie fragte ein paar Leute nach der nächsten Bäckerei und kam unverhofft in den Genuss der Bewunderung und Freundlichkeit, die man Amandis entgegenbrachte, weil sie so hübsch und

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