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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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zugewandt. Sie öffnete die Augen und konnte wieder etwas erkennen. Und zwar eine Mähne aus roten Locken, die sich über Anbars Brust ergoss, und eine riesige Hand mit dicken, rosigen Fingern, die über Anbars geschlossene Augen fuhr.
    „ Das kann nicht sein“, murmelte der rot gelockte Riese.
    Elsa bekam keine Luft. Sie hatte das Gefühl, wenn sie jetzt nicht tief einatmete, würde sie ersticken. Sie unterdrückte das Bedürfnis, was es aber noch schlimmer machte. Ohne es zu wollen, schnappte sie schließlich nach Luft wie eine Ertrinkende und der König hörte es. Er riss den riesigen Kopf herum und starrte sie an. Er hatte helle blaue Augen und die waren das einzige, was nicht rot war in diesem Riesengesicht mit den wallenden Haaren und dem lockigen Bart. Das Merkwürdigste an den Augen war, dass sie so bekümmert und harmlos dreinblickten. Keine Gefahr ging von ihnen aus.
    Elsa hatte das dringende Bedürfnis, dem Mann zu zeigen, dass von ihr auch keine Gefahr ausging. Die Toten um sie herum mochten eine andere Sprache sprechen, aber die verstand Elsa ja selbst kaum. Sie rappelte sich auf und kroch rückwärts von dem König fort. Der König rührte sich nicht, doch der Antolianer an der Tür ging in Stellung mit zwei Schwertern in der Hand. Er griff nicht an, er beobachtete nur, wie Elsa immer weiter rückwärts kroch, auf das Loch mit der Stiege zu. Es war der einzige Weg, auf dem sie diesen Raum verlassen konnte, ohne in einen weiteren Kampf verwickelt zu werden. Aber die Stiege war versperrt von dem verletzten Antolianer, der nun, da Elsa sich näherte, hektisch aufschaute und mit der Hand nach einer Waffe suchte. Er tastete den Boden ab, doch alles, was er fand, war ein dünnes Stück Metall. Es war verbogen und sah aus wie ein Reif, der gewaltsam durchtrennt worden war. Der Mann, der kaum bei Sinnen war, griff danach, mit zittriger Hand und fiebrigem Blick, obwohl ihm der Reif kaum von Hilfe sein konnte. Elsa aber blieb sitzen, wo sie war, wie vom Donner gerührt und fasste sich mit der Hand an den Hals. Der blutete, was kein Wunder war, denn sie war verletzt worden. Doch ein anderes Wunder zeichnete sich ab. Elsa nahm beide Hände zu Hilfe und konnte es kaum fassen. Da war nichts. Kein Reif. Kein Gefängnis. Gar nichts.
    Elsa konnte es nicht glauben. Sie rang nach Luft. Nichts hatte sie in den letzten beiden Jahren unversucht gelassen, um das Kerker-Schmuckstück, das um ihren Hals lag, zu zerbrechen, zu zerschneiden oder zu verbrennen. Keine Waffe hatte dem Reif auch nur einen Kratzer zufügen können. Selbst wenn sie in den selbstvergessenen Zustand gelangt war, der es ihr erlaubt hatte, eine andere Gestalt anzunehmen, war der Reif immer ein Teil von ihr geblieben, ein Teil jedes kleinen oder noch so großen Wesens, untrennbar mit ihr verbunden. Jetzt aber war er weg. Ein lächerliches, krummes, verbogenes Ding, das der wehrlose Antolianer krampfhaft in seiner Faust hielt. Elsa war frei. Zumindest so lange, bis sie wieder eingefangen wurde.
    Sie schaute zu den Fenstern hin, zu dem einen, an dem sie gestanden hatte und von wo aus sie die kleinen Vögel beobachtet hatte. Langsam und wackelig kam sie auf die Beine. Dabei ließ sie den König und den angriffsbereiten Antolianer an der Tür nicht aus den Augen. Die beiden rührten sich nicht, schauten sie nur an, der Antolianer skeptisch, der König verwundert. Schritt für Schritt arbeitete sich Elsa zum Fenster vor. Dort angekommen, drehte sie an den kleinen hölzernen Riegeln, bis sich eine der Scheiben quietschend aus dem verzogenen Rahmen löste. Sie rutschte Elsa aus den Fingern und fiel klirrend zu Boden. Alleine der Schreck reichte aus, um sie zur Verwandlung zu bewegen. Von Jetzt auf Gleich wurde sie ein winziger Vogel, der mit kurzen Beinen auf der hölzernen Fensterbank stand und in den Himmel spähte. Das Denken in diesem Zustand war fast unmöglich. Elsa überließ alles Weitere dem Spatzenhirn. Dieses Hirn wusste vor allem, dass es über Flügel verfügte und der Tag verlockend schön war. Ohne noch auf die Menschen zu achten oder sich der dunklen Ereignisse zu erinnern, die in seinem Rücken stattgefunden hatten, machte der kleine Vogel einen Sprung ins Nichts und flog in Richtung Sonne davon.

KAPITEL 11
     
    Als Elsa wieder zu sich kam, lag sie im hohen Gras unter einem gottverlassenen Baum in einem gottverlassenen Tal. Sie war kein Vogel mehr. Die Sonne musste gerade erst untergegangen sein, denn es war noch hell über der Hügelkette, die

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