Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
machen.“
Unter dem hohen Dach, dort wo Tageslicht in den Dachstuhl fiel, landeten in diesem Moment zwei Vögel. Sie gurrten und flöteten, als wäre das Leben und die Welt in bester Ordnung. Elsa sah zu ihnen empor. Es mochten Tauben sein, allerdings sahen sie schwarz aus gegen das helle Licht.
„Wo sind wir hier eigentlich?“, fragte sie.
„In Antolia“, antwortete Anbar.
„Wirklich? In der Hauptstadt?“
„Nein, ungefähr am anderen Ende der Welt.“
Elsa drehte den Kopf. Legard hatte sich zurückgezogen, sein Gesicht lag fast im Dunkeln. Seine Hände mit den Waffen hingen lose herab. Er war aufmerksam, fast lauernd, doch es schien gerade keine Gefahr von ihm auszugehen.
„Ist das ein Pferdestall?“, fragte Elsa.
„Normalerweise ja“, erklärte Anbar. „Aber die Pferde sind schon seit einem halben Jahr in Sommerhalt.“
Jetzt, da Elsa wusste, dass die dämmrige Dunkelheit des Stalls eine antolianische Dunkelheit war, schaute sie sich noch einmal um. Bestimmt roch es nach Holz und nach Wärme. Die Stille, die hier herrschte, war weich. Nichts rührte sich außer einigen Fliegen, die lautlos übers Holz krabbelten. Sie sahen nicht anders als istländische Fliegen.
„Steht die Hauptstadt noch?“
„Ja. Wir waren dabei, die Kämpfe an den Grenzen zu verlieren, als sich der Feind sehr plötzlich zurückgezogen hat. Niemand hat verstanden, warum. Es wurde mir erst klar, als Romer sich gemeldet hat, um mir deine Nachricht von Amandis zu überbringen.“
Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihn diese Nachricht getroffen hatte. Elsa war ihm eine Erklärung schuldig, sie wusste nur gar nicht, wie sie anfangen sollte.
„Die Kammer aus Aeiolen in Antolia, die gibt es also noch?“
„Ja. Wie kommst du darauf?“
„Die Katzen, habt ihr die mitgenommen?“
„Einige ja, aber die meisten von ihnen wollten bleiben, egal was passiert.“
„Woher wollt ihr wissen, was die Katzen wollen?“
„Warum sollte ein Mensch, der sich dafür interessiert, nicht wissen, was die Katzen wollen? Sagst du mir jetzt, was die Kammer mit deinem Wortbruch zu tun hat?“
Ihr Wortbruch. Elsa sammelte sich, um zu sagen, was sie nur ungern offenbarte:
„Ich habe dir etwas verschwiegen. Es gibt da noch einen Altja in diesem Teil der Welten. Er ist wesentlich mächtiger als ein normaler Rabe.“
Anbar runzelte die Stirn, Legard trat einen Schritt vor.
„Ich dachte, ich müsste ihn schützen“, erklärte Elsa schnell, bevor einer der beiden richtig sauer werden konnte. „Vor den Ganduup und vor euch und den Möwen. Ich dachte, es wäre besser, wenn niemand von ihm weiß außer Niko und mir. Er heißt Carlos. Carlos hat Niko gefunden und aufgezogen. Er hat ihm auch beigebracht, wie man sich versteckt. Ich dachte immer, Carlos wäre auf unserer Seite. Aber jetzt, vor drei Wochen, hat er mir erzählt, dass er schon immer versucht hat, mich aus dem Weg zu räumen. Er hat auch Agnes dazu angestiftet, das Gift zu schlucken, weil er vorausgesehen hat, dass die Welten untergehen werden, meinetwegen. Wegen eines Raben, der wie Ulissa aussieht. Er dachte, wenn Agnes stirbt, ändert er die Zukunft. Aber er brachte sie erst in Gang und so geschah es immer wieder, wenn er versucht hat, einzugreifen. Mittlerweile hat er sich damit abgefunden, dass alles aufhört. Er hat mir damit gedroht, dass er zu den Ganduup gehen wird, wenn ich es nicht tue. Ich weiß nicht, ob er es getan hätte oder tun wird, wenn mir etwas zustößt. Ich denke, er wird es tun, um das zu versuchen, was ich auch versuchen werde. Er rechnet sich keine großen Chancen aus. Ich glaube, dass er mir mehr Erfolg zutraut. Jedenfalls will er nicht, dass die Menschheit verschwindet. Er liebt eure Kammer.“
„Er war dort?“, fragte Legard.
„Ja, früher. Er ist schon alt, er lebt seit Hunderten von Jahren, ohne auch nur einmal gestorben zu sein. Er war oft in Antolia, doch irgendwann wurden die Grenzen gesichert, sodass er sich nicht mehr hineingetraut hat. Jedenfalls ist die Kammer der wichtigste Ort für ihn. Er will nicht, dass sie aufhört und dass die Geschöpfe aufhören, die sie geschaffen haben. Doch er kann es nicht verhindern. Denn in jedem Raben schlummert ein Wunsch nach Ewigkeit. Wenn er sie bekommen kann, nimmt er sie, ohne Rücksicht auf Verluste. Er bedauert nicht, er schaut nicht zurück, er geht voran, auch wenn alles in seinem Rücken verschwindet. Jeder Rabe ist so, nur ich nicht. Carlos hat mich gefragt, wie stark mein Wille ist. Er hat
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