Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
sollte, dass er auf irgendeine Weise noch all die Filme zu sehen bekäme, die er dummerweise durch Abwesenheit verpasst hatte. Irgendwo im Paradies oder wohin auch immer es ihn nach seinem Tod verschlagen würde.
Für Elsas Reise wurde Kamark als Weltenführer nicht gebraucht. Die Ganduup hatten ihre eigenen torgewandten Gespenster, die lediglich die Richtung angaben, der die anderen Ganduup zu folgen hatten. Nur zwei Ganduup begleiteten Elsa auf ihrem Weg, aber sie wusste, dass bereits zehn Ganduup in der anderen Welt warteten, bereit zuzuschlagen, sobald Elsa in Gefahr käme oder der Verhandlungspartner sich als zu dickköpfig erweisen sollte.
Elsa machte die Erfahrung, dass man sich auch als Geist sehr fürchten konnte. Das einzige, was ihr Stabilität und Hoffnung verlieh, war der Gedanke, dass Anbar zu schlau sein musste, um an dem Treffpunkt zu erscheinen. Amandis hatte ihre Botschaft bestimmt weitergegeben. Es brauchte nicht viel Verstand, um sich auszurechnen, dass die Ganduup ihn aus dem Weg räumen wollten. Die Ganduup unterschätzten ihn, wenn sie glaubten, dass ihn seine Neugier auf die nächtliche Hügelspitze in der bunten Würstchenwelt treiben würde. Elsa klammerte sich an diese Zuversicht, als sie den Schritt hinüber tat, aber wie sie gleich feststellte, irrte sie sich gründlich.
Das Gras an der Spitze des Hügels sah noch genauso aus wie vor zwei Jahren, genauso weich und entrückt im Sternenlicht. Keine Wolke war am Himmel zu sehen, nur die vielen funkelnden Lichter, die aussahen, als hätte man mit einer Nadel lauter Löcher ins Schwarz gepiekst, so dass eine unfassbar leuchtende Ewigkeit pünktchenweise zum Vorschein kam, eine Andeutung von Glück, unerreichbar weit weg. Elsa erinnerte sich daran, wie sie vor zwei Jahren am Waldrand gesessen und sich vorgestellt hatte, wie schön es wäre, in den Sternenhimmel hineinzufallen. Jetzt war ihr der Traum unheimlich, fürchtete sie doch, dass er sich bewahrheiten könnte.
In dieser Nacht waren hier keine Menschen, die auf der Wiese schliefen oder ein Picknick zwischen den Steinen veranstalteten. Das Gras sah unberührt aus. Womöglich herrschte auch in dieser Welt Krieg und niemand begab sich mehr an diesen Ausflugsort. Die Ganduup an Elsas Seite gaben ihr zu verstehen, dass sie weitergehen sollte. Sie zeigten dorthin, wo die Wiese im schwarzen Wald verschwand und tatsächlich erblickte Elsa mit ihren Geisteraugen eine einsame menschliche Gestalt. Es war Anbar und er war ganz alleine hier. Er hatte nicht mal vor, im Schutz des Waldes zu bleiben, sondern kam auf Elsa und die beiden Ganduup zu, die noch unmittelbar neben dem Tor standen.
Elsa wusste nicht, was sie mehr erschreckte. Anbars tödlicher Leichtsinn oder das Wiedersehen, das unangenehm kühl vonstatten ging. Sie hatte ausgedient als Geliebte, sie musste ihn nur ansehen, um das zu wissen. Da war kein Zeichen mehr von Vertrautheit, Mitgefühl oder besonderer Zuneigung. Die Stimmung war nüchtern, doch höflich.
„Könntest du deinen Freunden sagen, dass sie mehr Abstand halten sollen?“
Sie hätte ihm gerne erklärt, dass ihn das nicht retten würde, aber sie schwieg. Die beiden Ganduup entfernten sich und blieben auf halber Strecke zwischen Tor und Waldrand stehen. Die übrigen Ganduup, die sich im Wald verbargen, mussten für Anbars menschliche Augen unsichtbar sein.
„Ich warne dich“, brachte Elsa schließlich heraus und hasste dabei ihre Stimme, die aufgrund der Aufregung einen unmenschlich klirrenden Beiklang hatte. „Solltest du eine Ganduup-Waffe bei dir haben und sie benutzen wollen, werden sie dich eliminieren, bevor du das tun kannst.“
„Ich habe keine dabei“, erwiderte er.
Elsas nichtmenschliche Augen starrten ihn an. Er war ein Mensch und daher schwierig zu ertragen. Gleichzeitig war er wertvoll, sehr wertvoll für sie, auch wenn alles, was sie so innig verbunden hatte, in der Ganduup-Festung begraben lag. Er war jetzt der Gegner, sie die böse Ganduup. Seine Augen waren graue Mauern, die alle Gedanken verbargen, ihre Augen nur noch Erscheinung. Keine schwarzen Abgründe mehr, sondern leerer Spuk, in der Beschaffenheit nicht anders als ihr Gesicht, ihre Hände und ihr Kleid.
„Hier können wir nicht miteinander reden“, sagte er. „Würdest du mich an einen anderen Ort begleiten?“
Er zeigte auf das Tor und sie schaute ihn verzweifelt an. Gerade wollte sie sagen, dass die Ganduup das niemals dulden würden, als sie Legard entdeckte. Er stand unmittelbar
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