Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
hat, dass Anbar eines Tages die Regierung stürzen wird, das ist Quatsch. Das brauchst du nicht zu glauben.“
„Das ist Quatsch?“
„Leimsel hätte es gerne so“, sagte Amandis, „er will unbedingt einen Wechsel. Aber das ist gar nicht nötig. Es reicht, wenn die Mehrheit ihre Richtung korrigiert. So läuft das in den Hochwelten. Immer mal wieder wird eine Minderheit stärker als andere Minderheiten. Sie gewinnt viel Einfluss beim Volk, das Volk zweifelt plötzlich an seiner Regierung, die Mehrheit ändert den Kurs und bleibt an der Macht. Deswegen regiert sie seit sechshundert Jahren und das ist auch gut so.“
„Wenn die Regierung ihren Kurs nicht ändert – gehen die Hochwelten dann unter?“
„Untergehen werden sie wohl nicht, aber dass die Regierung einiges ändert, das ist schon sehr wichtig. Sonst würde sich Anbar die Arbeit nicht machen. Er liebt die Politik nicht sehr.“
In diesem Zusammenhang hatte Elsa etwas auf dem Herzen, wagte aber kaum, es auszusprechen. Andererseits – dumm sterben wollte sie auch nicht.
„Leimsel erwähnte auch, dass es zu Anbars Job gehört, bald zu heiraten. Stimmt das?“
„Das ist so eine Sache“, sagte Amandis ernst. Zu Elsas Erleichterung schien sie die Frage nicht verdächtig zu finden. „Wenn er nicht heiratet, wird es den Leuten komisch vorkommen. Andererseits sind sehr viele Frauen froh, wenn er nicht heiratet, solange können sie ihn noch anhimmeln.“
„Sie himmeln ihn an?“
„Ja, so ist das nun mal. Politiker sind in den Hochwelten etwas Besonderes. Hässlich ist er ja auch nicht. Gibt es das in deiner Welt nicht? Dass die Frauen Postkarten von jemandem kaufen und glauben, dass dieser Mann der tollste auf Erden sei?“
Etwas Merkwürdiges passierte gerade mit Elsas Magen. Er verlängerte sich irgendwie in die Tiefe bei dem Gedanken, dass sie – ausgerechnet sie – einem antolianischen Tildo Jahn verfallen sein sollte.
„Aber sie kennen ihn doch gar nicht! Er lügt, er ist berechnend, er ist überhaupt nicht charmant, er hat oft schlechte Laune …“
Amandis lachte.
„Findest du ihn so schlimm? Zu mir ist er immer nett.“
Elsa wurde es zusätzlich mulmig bei dem Gedanken an die vielen eleganten Schönheiten, die immer an Tildo Jahns Arm hingen und in den istländischen Illustrierten abgebildet waren.
„Nutzt er das denn aus? Dass er so umschwärmt ist?“
„In den Hochwelten bestimmt nicht. Es ist dort nicht üblich, jedenfalls nicht für einen Politiker, der ein Vorbild sein soll. Er darf nur mit einer Frau etwas anfangen, die er später auch heiratet.“
„Und außerhalb der Hochwelten?“
„Wird er nicht angehimmelt. Du kennst ihn, das ist ihm lieber so.“
Das war nicht das, was Elsa gemeint hatte. Amandis schien das zu wissen, denn sie lächelte spöttisch.
„Du hast doch keine Schwäche für ihn?“, fragte sie, ersparte Elsa aber die Peinlichkeit einer Antwort, indem sie fortfuhr: „Bestimmt nicht und das wäre auch nicht gut, es würde dich nur unglücklich machen. Aber ich verstehe, wenn du dich anderweitig umsiehst, bei so einem Verlobten. Ich hatte mir deinen Zukünftigen auch großartiger vorgestellt.“
„Nikodemia ist nicht mein Zukünftiger. Er ist aber auch nicht so schlimm, wie du tust.“
„Er ist unfreundlich und hat keine Manieren.“
„Das kann man von Anbar auch sagen, manchmal jedenfalls.“
Amandis schwankte zwischen Belustigung und Empörung. Kopfschüttelnd richtete sie sich auf.
„Nikodemia weiß ja nicht mal, was ein Taschentuch ist und wozu man es benutzt!“
Elsa versuchte sich zu erinnern, ob sie Nikodemia jemals mit einem Taschentuch gesehen hatte oder ohne Taschentuch, wenn eins angebracht gewesen wäre, aber ihr fiel beim besten Willen keine Gelegenheit dieser Art ein. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er die wohlerzogene Amandis absichtlich schockiert hatte, aus Trotz und weil sie nichts anderes von ihm erwartete. Ulissa hatte sich bestimmt darüber kaputt gelacht.
„Reden wir nicht mehr über ihn“, sagte Amandis. „Reden wir lieber über morgen: Sistra wird mit Morawena am späten Vormittag hier ankommen. Dann solltet ihr nicht lange warten, sondern aufbrechen, sagt Anbar. Denn er befürchtet, dass sich die Ausgleicher morgen mit den Möwen einigen werden. Dann beginnt die Jagd. Sie werden alle Tore nach Spuren von euch absuchen, ebenso den Zwischenraum. Wenn Ausgleicher und Möwen zusammenarbeiten, wird es richtig schwierig für euch. Beide zusammen können eure
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