Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Spuren noch wochenlang erkennen und verfolgen. Wenn sie gegeneinander arbeiten, ist es für Raben wesentlich einfacher.“
Elsa hörte sich Amandis’ Auskünfte ratlos an. Von solchen Dingen hatte sie keine Ahnung.
„Ich wünschte, ich könnte euch irgendwie behilflich sein“, sagte Amandis, „aber ich bin so unbegabt. Sistra wird dir und deinem … Nikodemia … erklären, worauf es ankommt. Sie will, dass Morawena die Flucht gelingt.“
„Aber warum? Warum sperrt sie ihre Schwester erst neun Jahre lang in einen Käfig und hilft ihr dann zu fliehen?“
Amandis nahm eins der Kissen in den Arm, die vor dem Feuer lagen, und drückte es an sich.
„Es ist nicht mehr alles so, wie es mal war. Das hängt auch mit dir zusammen. Der alte Kampf – Möwen und Ausgleicher gegen den einen bösen Raben, das gibt es nicht mehr. Sistra bereut es ganz furchtbar, dass sie Morawena eingesperrt hat. Sie hat es getan, weil Mora ihren Freund hat töten lassen. Es sah so aus, als ob Mora böse geworden wäre, so wie es immer passiert ist mit Raben. Woher sollte Sistra wissen, dass Mora ehrlich bereuen könnte?“
Amandis zupfte unruhig an ihrem Kissen herum.
„Auf einmal gibt es noch mehr Raben als diesen einen und sie sind alle nicht böse. Sistra denkt nach. Sie fragt sich, worauf das alles hinauslaufen soll. Mora war zwei Jahre lang bei den Ganduup, ohne sich von ihnen kaufen zu lassen. Hat sie dafür nicht die Freiheit verdient? Anbar liegt Sistra die ganze Zeit in den Ohren, dass sich die Zeiten geändert haben. Dass man aufhören muss, euch Raben zu verteufeln. Sistra kann hart sein, aber sie muss überzeugt sein, um hart zu sein. Du hättest sie sehen sollen! Sie hat sich die Augen ausgeheult, als Anbar ihr Morawena zurückgebracht hat. Sie würde sie nie wieder einsperren. Nie wieder!“
„Wird Sistra Sommerhalt verlieren? Weil sie nicht mehr will, was die anderen Möwen wollen?“
„Die Gefahr besteht. Aber wenn es stimmt, was alle sagen, gibt es sowieso Krieg und Brisa wird zerstört werden. Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe, aber mein ganzes Leben ist ein Trümmerhaufen.“
Amandis legte den Kopf auf die Sessellehne und sah herzzerreißend traurig aus.
„Du bist noch nicht über Romer hinweg?“, fragte Elsa vorsichtig.
Amandis schüttelte den Kopf.
„Aber du willst ihn nicht mehr sehen?“
„Ich will mir keine Hoffnungen mehr machen“, sagte Amandis, das Kissen an sich gepresst. „Romer ist nicht der, für den ich ihn gehalten habe. Trotzdem geht er mir nicht aus dem Kopf.“
Elsa konnte es gut verstehen. Sie wusste ja, wie das war, wenn Träume nicht aufhören wollten, gegen alle Vernunft.
„Dir ist aber schon klar, dass Anbar keine Skrupel hatte, diesen Herzensbrecher auf dich zu hetzen?“, fragte Elsa.
„Es wäre ein Fehler gewesen, Nada zu heiraten. Romer wäre ich sowieso eines Tages begegnet. Das war Schicksal. Außerdem hat Anbar dafür gebüßt, so oft, wie ich ihm wegen Romer die Ohren vollgeheult habe. Aber ich will nicht jammern. Du hast es viel schlechter als ich. Du kannst nicht nach Hause und musst mit diesem Nikodemia wegrennen.“
„Könntest du dir vorstellen, in Antolia zu leben?“, fragte Elsa. „Wenn es nun Brisa nicht mehr gäbe?“
Amandis starrte vor sich hin.
„Ich kann mir gar nichts vorstellen“, sagte sie. „Ich bin nur hier zu Hause.“
Elsa wandte sich wieder dem Fenster zu und schaute in die Nacht hinaus. Was Amandis sagte, traf auch auf sie zu. Diese Stadt, die sich da unter ihr ausbreitete, lag ihr genauso am Herzen wie Sellerichkranz oder Kristjanstadt. In gewisser Weise – aber das war vergänglich – sogar noch mehr.
„Willst du dich ausruhen?“ Amandis warf ihr Kissen auf den Boden und stand auf. „Du musst müde sein. Komm, ich zeige dir, wo du schlafen kannst! Morgen musst du unbedingt einen Mantel von mir mitnehmen. Du bist nicht warm genug angezogen!“
Elsa fühlte sich erschöpft, aber gar nicht müde. Dennoch folgte sie Amandis ins nächste Zimmer und eine dunkle Treppe hinab. Amandis führte sie in einen Raum, in den Elsa vor Jahren einmal die Nase hineingesteckt hatte, ohne sich etwas dabei zu denken. Jetzt erfuhr sie, dass es Lian Relings Lieblingszimmer gewesen war.
„Von den Fenstern aus kann man den Hügel und die Bäume vom alten Friedhof sehen“, erklärte Amandis. „Sie hatte immer ein bisschen Heimweh nach Antolia und deswegen tat es ihr gut, ein Tor in Sichtweite zu haben.“
Es war ein großer Raum, teils
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