Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
sieht!“
„Danke.“
Elsa hätte gerne etwas Tröstliches gesagt. Etwas, das Amandis dazu bewegte, nicht wieder im Dunkeln Platz zu nehmen und traurig zu sein, wenn sie die Tücher angebracht hatte. Aber ihr fiel nichts ein.
„Vielen Dank“, sagte sie noch einmal und machte die Tür wieder zu.
Sie legte sich mit ihrem schwarzen Kleid ins Bett, auch wenn es für das saubere, feine Bettzeug zu schmutzig war. Elsa hatte schon lange nicht mehr in so einem Bett gelegen. Es war himmlisch bequem und duftend. Elsa löschte das Licht, rollte sich unter der Decke zusammen und drückte ihr Gesicht ins weiche Kopfkissen. Der Schlaf wollte aber nicht kommen, dafür war sie zu aufgeregt. Sie lauschte und hörte Stille, fast vollkommene Stille. Nur ihre Atemzüge machten ein Geräusch, wenn sie die Luft leise gegen ihr Kissen pustete und dabei einen Frieden verspürte, der sich auf fatale Weise mit ihren Erinnerungen an Anbar verknüpfte. Sie musste sich schon sehr anstrengen, um sich nicht vorzustellen, wie das wäre, wenn er nun hier bei ihr wäre. Nein, so etwas durfte sie gar nicht denken. Außerdem musste sie auf der Hut sein. Sie wusste ja nicht mal, ob er der war, für den sie ihn hielt. Amandis hatte sich in Romer getäuscht und Morawena in Gerard. Elsa hatte schon genug Romane und istländische Klatschblätter studiert, um zu wissen, dass so etwas öfter vorkam. Sie durfte nicht den Überblick verlieren. Sie durfte sich selbst nicht verlieren. Warum sollte sie sich auch nach etwas verzehren, was unerreichbar war? Es war so unsinnig.
Wenn sie sich auf Nikodemia konzentrierte und er sich in sein Schicksal fügen würde, genauso wie sie, dann könnte sie die nächsten Jahrzehnte mit Küssen und anderen schönen Dingen verbringen, ohne dass jemand sie wegschob und ihr erklärte, sie müsse vernünftig sein. Allen Ärger und Kummer könnte sie sich sparen. Fast seufzte sie, angesichts dieser wunderbaren Aussicht, doch das Seufzen verflüchtigte sich schlagartig, als ihr bewusst wurde, dass kein einziger Kuss, den sie mit Nikodemia austauschen würde, jemals an den Kuss heranreichen könnte, den sie heute bekommen hatte. Sie hatte ja den direkten Vergleich, sie musste nur ihre Erinnerungen durchforsten. Das lag nicht daran, dass Nikodemia schlecht geküsst hätte, sondern daran, dass sie nach ihm nie so verrückt gewesen war. Das war eine ziemlich dumme Sache, dass man offensichtlich nur von einem Kuss so richtig umgehauen werden konnte, wenn man vorher seinen Verstand abgegeben hatte. Obwohl es sonst nicht Elsas Art war, wunderte sie sich jetzt doch darüber, was Menschen für komische Wesen waren. Gedankenlos verschenkten sie ihr Herz an irgendjemand anderen, in der Hoffnung auf so einen Kuss, aber was es ihnen am Ende einbrachte, war meistens Verdruss. Das Herz entwendet, zertrampelt oder völlig unangetastet auf der Rückreise. Wie oft kam es wohl vor, dass ein Herz, indem man es verschenkte, an einen besseren Ort gelangte? Wenn es stimmte, dass die Raben vor langer, langer Zeit ihr Herz an die Ewigkeit verschleudert hatten, wie konnten sie dann überhaupt lieben? Was hatten sie sich davon versprochen? Was konnte noch verlockender sein als ein vollkommener Kuss?
In diesem wunderbar weichen Bett, in dem Amandis geboren worden war, gab es etwas Hartes, das Elsa gegen das Bein drückte. Im Halbschlaf tastete Elsa danach, fand mit ihrer Hand den Eingang in ihr Kleid und umschloss das runde, harte Ding, wobei ihr ein leiser, überraschter Laut entfuhr. Sie zog ihre Hand unter der Decke hervor und im gleichen Moment erfüllte ein weiches, weißes Licht ihre direkte Umgebung. Eines, das nicht blendete, sondern nur schön war. Elsa betrachtete es, schloss ihre Faust zärtlich darum und drückte ihr Gesicht daran. Gleich schwappte wieder eine Welle der Schläfrigkeit über sie und nahm sie mit sich. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hielt sie den Stein immer noch fest. Ihr Gesicht hatte sie unterm Kissen vergraben, damit die Morgensonne sie nicht weckte, und ihr ganzer Körper glühte von den Träumen, die sie gehabt hatte. Sie vergaß aber nach drei Atemzügen alle Einzelheiten, zurück blieb nur ein Gefühl von einem betörenden, süchtig machenden Hunger.
„Ich habe dir das Frühstück gebracht“, hörte Elsa Amandis sagen. „Ich dachte, du isst lieber in Ruhe.“
Elsa schob das Kissen von ihrem Kopf und sah, wie Amandis ein großes Tablett neben dem Bett abstellte.
„Ist Niko da?“, fragte Elsa
Weitere Kostenlose Bücher