Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
unscheinbares dunkelblondes Haar, in das sie mehrere Schleifen gebunden hatte. Ihre Augen war stark geschminkt und ihre Lippen rot. Sie wirkte wie ein Schulmädchen, das älter aussehen wollte, als es war.
„Nelli!“, rief Elsa, als das vertraute Kleid in Reichweite kam. „Wie bringe ich diesem Herrn bei, dass er mich loslassen soll?“
Nelli, die erst erstaunt und neugierig ausgesehen hatte, verlor beim Anblick von Elsas Handgelenk in Berths Faust ihre gute Laune. Sie verzog das Gesicht.
„Dafür bin ich nicht zuständig“, sagte sie kalt.
Elsa starrte sie ungläubig an. Wie konnte man einen bemalten Porzellanteller mit Sprung besitzen und dann so gefühllos sein? In ihrer Vorstellung war Nelli ein Mädchen gewesen, mit dem sie hätte befreundet sein können. Doch Nelli beugte sich über den Tisch und lächelte Berth zuckersüß an.
„Ich bring dir noch ein Birra, ja?“
Elsa schaute Nelli hinterher, als sie in Richtung Bar abzog. Wie hungrig musste man sein, um einem wie Berth schöne Augen zu machen?
„Siehst du?“, sagte er zu ihr. „Ich sitze am längeren Hebel. Wollen wir es jetzt noch mal mit Nettigkeit versuchen? Ich bin auch nur ein Mensch und mit mir kann man reden!“
Elsa sah sich den Menschen an, der ihr da gegenübersaß. Sie schätzte Berth auf vierzig oder mehr Jahre. Er war gut angezogen, trug ein glänzendes Halstuch, einen sorgfältig gestutzten Backenbart, eine Brille. Er war kräftig gebaut, aber nicht dick. Es gab keinen Grund, warum sie mit ihm hätte reden wollen. Er wäre ihr gleichgültig gewesen, hätte er nicht ihren Arm auf dem Tisch festgenagelt und ihre Seele mit Fäden umwickelt, die sie vom Zwischenraum trennten. Das war ein Akt der Gewalt und das Wort Nettigkeit hatte hier einfach keinen Platz. So sehr es Elsa auch widerstrebte, ihr blieb fast gar nichts anderes übrig, als Berth glauben zu lassen, dass sie es sich anders überlegt hatte. Wenn es stimmte, was er über die Ablösung gesagt hatte, dann musste sie sogar den Eimer mit ihm verlassen. Entmutigt sah sie sich noch einmal um und hätte fast laut aufgeseufzt vor Freude: Da kam Nikodemia mit einem frisch gefüllten Birrakrug und Berth schöpfte keinen Verdacht.
„Was wolltest du von mir wissen?“, fragte sie in versöhnlichem Tonfall. „Wo ich mich versteckt habe?“
Nikodemia regelte die Angelegenheit so geradlinig, wie es im Matrosenviertel üblich war. Kaum hatte er den Tisch erreicht, holte er mit dem Krug aus und schlug ihn dem ahnungslosen Berth mitten ins Gesicht. Elsa hörte ein lautes Krachen und spürte sofort, wie der Druck auf ihren Arm nachließ. Sie sprang auf und zerrte ihre Hand aus der sichtbaren wie der unsichtbaren Umklammerung. Dabei war es hilfreich, dass Berth mitsamt Stuhl nach hinten kippte und auf den Boden knallte. Er sah schrecklich aus. Sein ganzes Gesicht blutete, er hielt seine Hände davor und krümmte sich stöhnend auf dem Boden. Die gesamte Kundschaft des Eimers hatte aufgehört zu reden und begutachtete halb sitzend, halb stehend das Spektakel. Plötzlich hörte Berth zu stöhnen auf, seine Hände wurden schlaff und fielen beiseite.
„Ist er tot?“, fragte Elsa fast tonlos.
„Ach was“, sagte Nikodemia, sah aber verunsichert aus.
Im gleichen Moment kamen zwei Männer in den Eimer und bewegten sich eilig auf Berth zu. Der eine ging neben dem Gestürzten in die Hocke und untersuchte seinen Kopf. Der andere wandte sich an Elsa:
„Wir konnten nicht eingreifen, solange er bei Bewusstsein ist“, sagte er zu ihr. „Er hätte uns erkannt.“
Elsa sah auf den ersten Blick, dass sie Möwen vor sich hatte. Auch Nikodemia merkte es, denn er machte einen großen Schritt rückwärts.
„Lebt er noch?“, fragte sie.
„Gebrochene Nase, Gehirnerschütterung, mehr wahrscheinlich nicht“, sagte der Mann, der neben Berth am Boden kniete. „Wir bringen ihn gleich weg.“
„Was wollte er?“, fragte der Stehende. „Hat er dich ausgehorcht?“
„Er wollte Sommerhalt übernehmen und sich mit mir anfreunden.“
„Ach ja?“, fragte der, der am Boden saß. „Tolle Idee.“
„Er hat gesagt, dass demnächst seine Ablösung hierherkommt. Stimmt das?“
Der Stehende nickte.
„Vermutlich ja. Berth war schon die ganze Nacht hier und der Eimer ist ihr Treffpunkt. Du solltest schnell verschwinden. So wie wir auch.“
Berth bewegte sich und stöhnte leise. Daraufhin zog die am Boden hockende Möwe etwas aus ihrer Jacke und setzte es auf Berths Haut, wobei es leise zischte.
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