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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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Auserwählter ist ein echtes Urgestein. Ein Zufallswurf der Natur bis in die letzte Haarspitze seiner Löwenmähne.“
    Elsa musste lachen.
    „Kennt das beste Pferd deine Sicht der Dinge?“
    „Oh ja. So richtig entkräften konnte er sie nie.“
    In diesem Moment tauchte Nikodemia zwischen den Bäumen auf. Er war mager und seine Augen sahen groß und gläsern aus. Nicht nur Nikodemia, sie alle waren aufgebraucht, geistig und körperlich, und es wurde höchste Zeit, dass sie wieder festen Boden unter die Füße bekamen.
    „Können wir gleich los?“, fragte Nikodemia.
    Elsa und Morawena standen auf. Die Decken ließen sie an Ort und Stelle liegen. Sie warfen auch keinen Blick mehr in den Keller, wo ein paar Dosen Ananas und Waldmeisterlimonaden ungegessen und ungetrunken zurückblieben. Elsa fragte sich kurz, was aus ihnen werden würde, wenn sie die Lichtung verließen. Vermutlich würden sie in Elsas Träumen schlummern und vielleicht käme sie mal bei ihnen vorbei, irgendwann nachts zwischen zwei und drei Uhr, in einem Labyrinth aus dunklen Ecken und wirren Bildern, um sich dort hinzusetzen und ihnen Gesellschaft zu leisten. Sie würde sie nicht vergessen.

KAPITEL 33
     
    Was nun folgte, war Elsa im Großen und Ganzen klar. Sie hatte es mit Nikodemia ein paar Mal besprochen. Normalerweise waren sie am sichersten – und ihre Spuren am schlechtesten zu verfolgen – wenn sie in ihrer gewohnten Gestalt zu Fuß gingen oder ein Verkehrsmittel der jeweiligen Welt benutzten. Aber jetzt waren sie geschwächt und hatten kein Geld, zumindest kein leicht tauschbares. Morawena hatte wohl Gold bei sich, aber damit konnte man an keinen Schalter gehen und sich einen Fahrschein kaufen. Sie mussten fürs Erste auf eine Notlösung umsteigen und die hieß: fliegen. Da die Rabengestalt nicht nur Elsas, sondern auch Nikodemias und Morawenas zweite Natur war, war sie das zweitkleinste Übel. Zwar konnte man entdecken, wo sie den Zwischenraum verwendet hatten, um sich zu verwandeln, aber die Rabenspur selbst war schwer zu verfolgen. Nun würden sie also eine Welt betreten, die Nikodemia ausgekundschaftet hatte und in der es einige Tore gab, die man alle fliegend innerhalb weniger Stunden erreichen konnte. Sie würden sie alle anfliegen und ihre Schnäbel hineinstecken, um eines davon zu benutzen. Im besten Fall würden die Möwen Wochen oder Monate brauchen, um zu entdecken, dass diese Tore benutzt worden waren. Dann müssten sie herausfinden, durch welches die Raben tatsächlich geflohen waren. Im schlechtesten Fall entdeckten Möwen, Ausgleicher oder Ganduup ihre Spuren sofort, verfolgten sie und bekämen die geschwächten Raben sehr schnell zu fassen. Aber Elsa war zu müde, um sich darüber Sorgen zu machen. Sie watete hinter Nikodemia durch das nasse Gras und hörte, wie Morawena hinter ihr das Gleiche tat, nur so langsam, dass sie immer wieder zurückblieb und die beiden anderen auf sie warten mussten. Das passte Morawena gar nicht, doch die Zeit der Krankheit hatte sie umgänglicher gemacht. Manchmal fluchte sie leise vor sich hin, doch wenn sie Nikodemia und Elsa wieder eingeholt hatte, dann nickte sie nur, bat um eine kurze Verschnaufpause und weiter ging es. Elsa bot an, hinter Morawena zu gehen, aber für Nikodemia kam das nicht in Frage.
    „Siehst du das?“, fragte er und zeigte auf einen Tümpel, in dem weiße Geschöpfe hin- und herpaddelten, die sehr glitschig und unfertig aussahen.
    „Kommen die von mir?“
    „Darauf kannst du wetten. Ich möchte nicht noch mehr davon sehen. Du bleibst dicht hinter mir.“
    Sie hätten das Tor auch schneller erreichen können, doch Nikodemia wollte seinen blinden Winkel im Zwischenraum nicht preisgeben. Er wollte ihn als Trumpf, als Notlösung in der Hinterhand behalten, falls sie mal auf der Flucht waren und überhaupt nicht wussten, wohin. Der Umweg war nicht weit, aber sie kamen nur sehr langsam voran. Als es im Zwischenraumwald Nacht wurde – auch hierfür machte Nikodemia Elsa verantwortlich – hielt er den Zeitpunkt für gekommen, das Tor zu betreten. Elsa spürte die Welten dahinter, ihr wehten tausend duftende Andeutungen von Wirklichkeit direkt in die Nase. Sie war ausgehungert nach Festigkeit und Leben. Und wie das so ist, wenn man sehr hungrig ist: Ihre Sinne waren geschärft. Selten hatte sie so deutlich gefühlt, wie der Zwischenraum im Tor eine Einschränkung erfuhr, um sich dahinter als Fluss aus Möglichkeiten in eine Landschaft aus Festlegungen zu ergießen.

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