Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
konnte sehr langweilig sein. Dann flog ich irgendwohin, wo die Verbrecher um Geld spielten, sich gegenseitig erpressten oder tot prügelten. Das sah ich mir eine ganze Weile an und kehrte schließlich, dankbar für den Frieden, in dem ich lebte, nach Hagl zurück. Diesmal mischte ich mich unter die Verbrecher, um selbst einer zu werden. Ich beauftragte einen Einzelgänger, der den Ruf hatte, die skrupellosesten Dinge zu tun, wenn man ihn nur gut bezahlte. Ich zahlte sehr gut. Er versprach, den Mord am König schnell und sorgfältig auszuführen. Nach dieser Unterredung erwartete ich Besserung. Ich dachte, die Tat würde mich abkühlen. Mich befriedigen. Den Schmerz vertreiben. Aber nichts dergleichen geschah. Einen Tag lang fühlte ich mich leer und wie betäubt. Dann bekam ich Angst. Angst, dass er es tatsächlich tun könnte. Dass ich Gerard, den ich doch so sehr liebte, für immer verlieren würde.
Am nächsten Morgen flog ich wieder in das Verbrechernest, um den Mörder dafür zu bezahlen, dass er seinen Auftrag nicht ausführte. Doch er war verschwunden. Ich suchte ihn eine Woche lang, aber ich fand ihn nicht. Dann beruhigte ich mich. Natürlich war er abgehauen. Sicher war er schon weit weg. Er hatte das Geld genommen und verprasste es jetzt irgendwo südlich von Istrian in einem namenlosen, kleinen Land, in dem man noch Sklaven hielt. Davon war ich bald fest überzeugt. Warum sollte er einen König umbringen und den Rest seines Lebens auf der Flucht verbringen?
Nach zwei Wochen kam Nada aus Trotz zurück. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich sowieso furchtbar, aber Nada in die Augen zu sehen in dem Wissen, dass ich einen Mörder auf seinen Bruder gehetzt hatte, das konnte ich nicht. Nicht ohne mit der Wahrheit herauszurücken. Als er mich in meinem Haus im Wald besuchte, beichtete ich ihm, was ich getan hatte. Ich versicherte ihm, dass der Mörder längst weit fort war und Gerard keine Gefahr drohte. Nada war fassungslos. Ich werde nie vergessen, wie er mich angesehen hat. Er sagte nichts, er stürzte nur aus der Tür, um Gerard zu warnen.
Ich blieb sitzen. Ich weiß noch, dass die Sonne schien. Es war ein warmer Herbsttag, fast so, als wäre noch Sommer. Die ganze Zeit hatte ich gedacht, ich sei arm dran. Verzweifelt und am Ende. Jetzt, da Nada mich so angesehen hatte, ungläubig und entsetzt, merkte ich, dass es noch schlimmer kommen konnte. Vorher hatte ich mich aufgeführt wie ein Kind, das nicht bekommt, was es sich sehnlichst wünscht. Jetzt, an diesem sommerlichen Tag, der so friedlich hätte sein können, erlosch der Sinn meines Lebens. Ich war unschuldig gewesen, als ich Gerards Liebe verlor. Dass ich nun Nadas Achtung verlor, war ganz und gar meine Schuld. Wenn er nicht mehr da war für mich – was blieb dann noch? Hagl war mein Zuhause, aber was ist ein Zuhause ohne jemanden, der einen liebt? Ein leerer, ein trauriger Ort ist das dann. Ich konnte hier nicht bleiben. Ich konnte nicht mal ein Mensch bleiben, denn als Mensch hatte ich versagt. Es gab nur noch einen Weg für mich, einen, der mir schon immer vorgeschrieben war: Ich musste ein herzloser Rabe werden. Nur so würde ich meiner Existenz Bedeutung abringen. Als Rabe könnte ich noch gewinnen. Als Mensch nicht mehr.
Ich wusste, was zu tun war: Als nächstes musste ich fliehen. Jetzt sofort, bevor mein Verrat bekannt werden würde. Aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht. Stattdessen sprang ich auf und rannte hinter Nada her. Den ganzen Weg zum Schloss rannte ich. Sistras Möwen fingen mich ab, als ich in den Hof lief. Was los sei, fragten sie mich. Sistra hatte sie schon seit einiger Zeit auf mich angesetzt. Offiziell waren sie Beobachter des Hofes, doch eigentlich erstatteten sie Sistra Bericht über mich. Ich wusste es nicht, ich erfuhr es erst jetzt von Sistra.
Die Möwen erfüllten ihre Pflicht und verrieten Sistra, dass ich mich merkwürdig verhielt. Auch dass es mit Gerard und mir nicht zum Besten stand. Sistra trug ihnen auf, mich festzusetzen, sobald ich etwas Verdächtiges tat. Es sei nicht weiter schwer, sie müssten nur ihre Möwenkräfte einsetzen, die sich mit meinen nicht vertrügen. Eine Unregelmäßigkeit, die mich wehrlos machte.
Ich erklärte den Möwen, dass ich Nada suchte, was ja auch stimmte. Da wollten sie wissen, warum Nada so aufgeregt sei und nach den Wachen gerufen habe. Ich ließ mir keine Ausrede einfallen. Ich hatte keine Geduld. Ich rannte an ihnen vorbei, ins Schloss hinein. Sie folgten
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