Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
daraus drei kleine Stücke Gold auf den Ladentisch fallen.
„Mein Vater hat mich ausgestattet“, sagte sie, „als die Zeiten noch andere waren.“
Ladeninhaber und Verkäuferin nickten verständnisvoll.
„Ich trenne mich nur schweren Herzens davon, aber es muss sein. Was ist das Gold wert?“
Es klang ahnungslos und unschuldig. Nachdem er das Gold untersucht und gewogen hatte, bot der Juwelier zweihundert Klinker, ein Geldbetrag, von dem sie sich in dieser Welt dreitausend Salatgurken hätten kaufen können. Einen anderen Preis hatte sich Elsa dummerweise nicht eingeprägt. Sie war überzeugt davon, dass das Geld für drei Fahrkarten nach Wohin-auch-immer reichen würde, aber Morawena gab sich damit noch lange nicht zufrieden.
Sie sah bezaubernd aus, als sie sich ein Stück vorbeugte, dem Juwelier direkt in die Augen schaute und das Vierfache forderte. Ihr Vater habe ihr gesagt, darunter solle sie das Gold nicht hergeben. Der Juwelier schluckte und schüttelte bedauernd den Kopf. Nein, nein, da habe ihr Vater sich verschätzt. Bei dem Preis würde er ja draufzahlen. Auf diese Aussage hin kam Morawena erst so richtig in Fahrt. Sie schüttelte ihrerseits den Kopf, wirkte ganz verstört, enttäuscht und den Tränen nahe. Kaum war sie sich des Mitgefühls ihrer Zuschauer sicher, holte sie zur nächsten Forderung aus:
„Ich hätte kein gutes Gewissen, wenn ich das Gold unter Vaters Preis hergäbe. Er war so beruhigt, mich gut versorgt zu wissen, bevor er starb“, hier lächelte sie, trotz feuchter Augen, was besonders hinreißend aussah, „und der Goldpreis ist seither sogar gestiegen! Mein Vater hätte wahrscheinlich neunhundert Klinker verlangt!“
Fünf Minuten später verließen sie den Laden mit Klinkern in einem Wert von zehntausendfünfhundert Salatgurken. Der Juwelier hatte zum Abschied sogar darum gebeten, sie sollten ihn doch mal wieder beehren.
„Elsa, das nächste Mal bleibst du draußen“, sagte Morawena weit weniger bestrickend als zuvor, während sie die Straße überquerten. „Du hast geguckt wie ein vierjähriges Kind, das seinen ersten bunten Lutscher geschenkt bekommt.“
„Es hat mich schockiert, wie nett du sein kannst!“
„Ich hatte Mühe, die beiden Leutchen von dir abzulenken. Wenn ich mich nicht für dich schämen soll, dann gewöhne dir an, wie meine jüngere Schwester herumzulaufen und ein Gesicht zu machen, als gehörte dir die ganze Welt. Verstanden?“
„Mir gehört fast nichts und wir sehen aus wie Bettler.“
„Nein, sehen wir nicht. Wir sehen nur ein bisschen schwindsüchtig und verarmt aus.“
Nikodemia kam ihnen entgegen und zog gleich an ihnen vorüber.
„Los jetzt, wir haben es eilig. Zur Bahnstation geht es da lang.“
Sie nahmen die erste Eisenbahn von den dreien, die an diesem Tag abfuhren. Elsa bewunderte die Bahnhofshalle, eine Stahlkonstruktion aus feinen Verästelungen und einem Dach aus honiggelbem Glas. Als die Lok einfuhr, schnaubend und laut, rauchend und stinkend, da dachte Elsa, dass die modernen Straßenbahnen schon auch ihre Vorteile hatten, und doch war es ein Spaß, in den altmodischen Waggon einzusteigen und dann ruckelnd und sehr langsam aus dem Bahnhof hinauszufahren. Alle Leute, an denen sie vorbeifuhren, winkten, und die Zugreisenden winkten zurück. Die Sache mit dem Zug war wohl noch sehr neu und etwas Schickes. Alle Leute im Zug waren vornehm gekleidet und wohlerzogen. Morawena nahm bereitwillig den Platz am Fenster ein, den ein höflicher Mann ihr anbot. Elsa tat, was sie konnte, um für Morawenas jüngere Schwester gehalten zu werden, der mindestens die ganze Welt gehörte, und tatsächlich quetschte sich ein älterer Herr in die Ecke seiner Bank, damit Elsa neben Morawena Platz nehmen konnte. Sie achtete darauf, nicht zu überschwänglich danke zu sagen, denn das hätte Morawenas jüngere Schwester auch nicht getan. Ulissa hätte sich vermutlich gar nicht bedankt, aber genauso wie Ulissa zu sein, das war Elsa schon im letzten Leben überhaupt nicht gelungen. Deswegen war sie auch im Treppenhaus abgestürzt. Sie war wie Ulissa über das Geländer balanciert und als sie geglaubt hatte, sie wäre jetzt mindestens so leicht wie eine Feder, da war sie ausgerutscht. Morawenas Behauptung spukte durch Elsas schläfrigen Kopf: ‚Du hast geguckt wie ein vierjähriges Kind, das seinen ersten bunten Lutscher geschenkt bekommt.’ Dabei fiel ihr ein, auch wenn es ohne Belang war, dass sie in ihrem jetzigen Leben noch nie vier Jahre alt
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