Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
mir.
Es war viel los an dem Tag, weil Gerard seinen Geburtstag feierte. Viele Besucher waren im Schloss und während ich mich durch die vollen Gänge drängelte, wunderte ich mich über meine Dummheit und Gedankenlosigkeit. Natürlich hatte der Mörder diesen Tag abgewartet, um ins Schloss und in Gerards Nähe zu gelangen. Wenn ich nur ein bisschen weniger selbstsüchtig gewesen wäre, dann hätte ich nicht schmollend in meinem Haus gesessen, sondern hätte Gerard von morgens bis abends mit meiner Gegenwart gequält, um ihn vor dem Mörder zu schützen. Ich hätte den Mann sofort wiedererkannt. Ich hätte den Auftrag rückgängig machen können. Das hatte ich versäumt, aber noch war es nicht zu spät: Ich musste ihn finden, schnell finden, bevor er das Schlimmste anrichtete, was ich mir vorstellen konnte.
Dann hörte ich es. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sich eine Menschenmenge anhört, die gerade gesehen hat, dass ihr König von einem Pfeil mitten ins Herz getroffen wurde. Wie sie schreien, kreischen oder stumm sind vor Schreck, wenn er zu Boden stürzt, sich die Brust hält und stirbt. Ich lief immer weiter, wie in einem Alptraum. Ich kam nicht von der Stelle. Vielleicht, weil mir so viele Menschen entgegenkamen. Als ich endlich, nach sehr langer Zeit, in den großen Saal kam und die Menschen vor mir zurückwichen, sah ich Nada am Boden hocken, über Gerard gebeugt, dessen Augen in meine Richtung starrten, leblos und leer. Blut lief über den Boden. Dann packten sie mich.
Du weißt, wie es ist, wenn Möwen mit ihren Kräften nach uns greifen. Es schneidet uns, es zwängt uns in einen Zustand der Unveränderlichkeit, es ist erstickend. Sie packten mich und ich ging in die Knie. Es kam so plötzlich und ich war sowieso am Ende. In dem Moment war es mir egal, was mit mir passierte. Sie betäubten mich mit einer Nadel und schafften mich aus dem Raum. Kurz darauf traf Sistra in Hagl ein. Mich als Schuldige an dem Attentat zu überführen, war nicht schwer. Die Möwen fingen den Mörder, der gegen mich aussagte. Auch Nada konnte die Wahrheit vor Sistra nicht verbergen. Als sie ihn geradeheraus fragte, ob ich schuld an Gerards Tod sei, fehlten ihm die Worte. Davon bekam ich nichts mit, ich war bewusstlos. Ich wachte kurz auf, als das tödliche Gift in mir wirkte, das du auch kennst. Das Gift, das uns dazu zwingt, ein Rabe zu werden, damit wir nicht sterben. Kurz sah ich Sistras unglückliches Gesicht. Dann war die Verwandlung vollzogen und ich … aber davon wolltest du ja nichts hören.“
Elsa sagte nichts. Aber der Wald rund um die Lichtung rückte näher heran.
„Nicht, Elsa!“, rief Morawena erschrocken. „Denk an etwas anderes. Denk an Anbar! Übrigens weiß ich gar nicht, was du gegen Nadas Statur hast! Gut, er ist ein sehr stämmiger Riese, ich hab es gesehen, als ich eingewickelt und stumm in Trotz lag. Aber er ist doch beeindruckend! Außerdem ist er echt!“
Morawenas Rede tat ihre Wirkung. Der Wald blieb stehen und Elsa war abgelenkt. Gleichzeitig aber spürte sie, wie schwer ihr Kopf und wie langsam ihre Gedanken geworden waren. Nikodemia musste bald kommen. Sie wusste nicht, wie lange sie noch aushalten würde.
„Echt? Wer ist denn nicht echt?“
„Alle Antolianer, mein Cousin mit eingeschlossen. Was meinst du, warum sie so groß, so gut aussehend und gut gebaut sind? Anbar hat es selbst gesehen, wie seine Mutter ihren Kindern allerlei Pülverchen und Pillen ins Essen gerührt hat. Angeblich Stärkungsmittel, Kräuter für die Gesundheit und so ein Zeug. Aber das können sie sich gegenseitig erzählen, wenn es sie glücklich macht. Wer einmal in Antolia war, weiß, wie es da zugeht. Das gute Aussehen geht ihnen über alles. Hässliche Politiker muss man suchen. Es gab ein paar wenige, aber sie sind die Ausnahme. Glaubst du, Anbars Mutter hätte ihren Sohn zu Torbens Nachfolger auserwählt, wenn er eine krumme Nase und zu kurze Beine gehabt hätte? Nein, nein, sie züchten ihre Politiker: Schöne Frauen heiraten schöne Männer und damit der Nachwuchs auch ja groß und kräftig wird, helfen sie der Natur mit fragwürdigen Arzneien nach. Dann bekommen sie eine Menge Kinder und picken sich das hübscheste heraus. Blonde Haare und helle Augen kommen immer gut an. Anbars Mutter erkannte die Chancen ihres ältesten Sohnes und schickte ihr bestes Pferd ins Rennen. Mit Erfolg, wie man weiß. Die Antolianer vergöttern ihn und du auch. Ich bin froh, dass mir so etwas erspart bleibt. Mein
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