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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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stand auf, hatte immer noch ihre Hand in seiner. Sie schaute hoch zu ihm, befreite langsam ihre Finger.
    »Kommst du zurück?«, fragte er.
    Sie hörte die Mutlosigkeit in seiner Stimme, die Einsamkeit. Ich bin doch selber einsam, dachte sie, ob zwei Einsamkeiten sich treffen, sich trösten können?
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich kann es dir nicht sagen.«
    Er nickte, beugte sich über sie, ihr Duft wehte ihn an wie ein Gruß aus einer besseren Zeit. Er küsste sie auf die Wange, hielt für einen kurzen Augenblick seine Nase in ihr Haar. »Ich liebe dich«, flüsterte er. »Ich habe das immer getan. Jeden Augenblick.«
    Sie schluckte, spürte, dass sie weinen wollte.
    »Ich weiß«, sagte sie so leise, dass es kaum zu verstehen war. »Ich weiß es doch. Aber auch das ändert nichts.«
    Er nickte, verharrte bewegungslos. Eine Sekunde noch, dachte er, lass mich bei dir sein, und sie ließ ihn. Dann richtete er sich auf, versuchte ein Lächeln, sie merkte, wie grau er im Gesicht war.
    »Wo gehst du hin?«, fragte sie. »Was machst du?«
    Er schüttelte vage den Kopf, zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht«, sagte er, »zurück in die Kanzlei. In die Stadt. Irgendwohin. Es ist doch jetzt alles …«
    Er blieb noch eine Sekunde stehen, dachte nach, seine Gestalt ein wenig abgemagert in den letzten Tagen. Sie schaute ihn an. Nein, dachte sie, ich kann mir nicht einmal selber helfen, wie sollte ich ihm …?
    Er ging.
    Sie weinte endlich, dann … »Wir müssen uns um Lilli kümmern!« Aber er war schon weg.
    65 Friedhof, dritte Reihe links, fünftes Grab, man kann es sich leicht merken. Es ist still dort, der Friedhof liegt auf einem Hügel jenseits des Lärms, jenseits der befahrenen Straßen. Ich bin in der Kirche gewesen, habe mir den Pfarrer gesucht, und als ich Tonios Namen nannte, erinnerte er sich augenblicklich an die Tragödie, die damals für großes Aufsehen gesorgt hatte.
    »Es war ein wunderschöner Septembertag«, sagte der Pfarrer, »als wir ihn begruben, den jungen Tonio Köhler, der Himmel war wie gewaschen. Haben Sie seinen Vater gekannt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Der Pfarrer nickte. Ein gebrochener Mann sei er ab diesem Zeitpunkt gewesen, der Vater.
    »Und die Mutter? Haben Sie sie gekannt?« Nein, noch weniger. »Ich habe sie nie gesehen«, sagte ich.
    »Eine Italienerin«, sagte der Pfarrer. Sie sei extra zum Begräbnis angereist, eine ausgesprochen schöne Frau, die Journalisten hätten geblitzt, was das Zeug hielt, die regionalen Zeitungen seien mit ihren Fotos voll gewesen, kein Wunder, eine Filmschauspielerin hätte sie glatt sein können, eine Gina Lollobrigida.
    Er überschlug sich fast ein bisschen vor Begeisterung, ich habe aufgehört, ihm zuzuhören.
    »Ja«, seufzte der Pfarrer, »so war das.«
    Er hielt inne, als denke er noch ein bisschen zurück, als verharre er noch in der Erinnerung, dann gab er sich einen Ruck.
    »Und Sie?«, fragte er und musterte mich. »Was haben Sie denn mit ihm zu tun gehabt, wenn ich neugierig sein darf?«
    Und, Zufall oder nicht, vor wenigen Wochen sei schon einmal jemand bei ihm gewesen, ein junger Mann, und habe ähnliche Fragen gestellt und dann lange am Grab gestanden, sicher mehr als eine Stunde.
    »Ach«, hab ich gesagt. Und dass ich damals eine flüchtige Bekannte gewesen sei und nun auf der Durchreise und alles wäre mir wieder eingefallen und ich hätte gedacht …
    Ich brach ab, wusste nicht weiter.
    »Und Sie dachten«, sagte der Pfarrer und drückte meine Hand, »das würde ihn freuen. Und das freut ihn sicher. Gehen Sie hin, halten Sie Zwiesprache. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.«
    Dann stand ich am Grab. Allein mit dir, Tonio. Nach so langer Zeit.
    Es ist gepflegt. Dein Name steht auf dem Grabstein und die Daten deiner Geburt und deines Todes. Sonst nichts.
    Ich hätte damals mit dir heimfliegen sollen, hab ich gedacht, ich hätte deiner Mutter gegenübertreten, ihr ins Auge blicken, ihr eine Stütze sein sollen, deinem Vater auch. Aber es ging nicht, damals. Nein, es ging nicht.
    »Das hast du nicht verdient, Tonio«, hab ich leise gesagt. »Nicht so ein Sterben, nicht so.«
    Ich bückte mich und strich über die kühlen weißen Köpfe der Astern. Sie werden den ersten Frost nicht überdauern, der Gärtner wird kommen und das Grab mit Zweigen und jägerartigen Waldgestecken winterhart herrichten. Darüber hättest du dich lustig gemacht, Tonio, nicht wahr. »Sie kommen in ihren grünen Uniformen«, hättest

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