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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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im Bett, stand nicht mehr auf, aß nicht, trank nicht. Sie wisse schon Bescheid, sagte sie, Traurigkeit sei nicht gut. Alles müsse überschaubar sein, alles einfach, alles nach Plan.«
    Und dass sie gar nicht traurig sei, nur müde. Und dass sie eigentlich gar nicht wisse, warum, aber die Müdigkeit habe sich in ihre Seele gebrannt und es sei unendlich schwer, sie loszuwerden. Aber dass sie schon zurechtkäme und sie, Dorothee und Hans, sollten sie nicht weiter beachten und sich keine Sorgen machen, bald sei sie wieder die Alte und über alle Berge.
    »Sie hielt nichts mehr von Sauberkeit«, erzählte Dorothee. »Wenn ich putzte, nannte sie mich ohne Phantasie und erklärte mir, dass Konturen auch unter Staub erkennbar wären. Und warum wir der Realität ins Auge sehen müssten. Sie meinte, man müsse Mut zum Unglück haben, das sei, was zähle. Ich habe gesagt, nein, Hanna, Mut zum Glück ist wichtiger. Aber Hanna fragte mich, was Glück überhaupt sei, was ich als Glück bezeichnete und dass man Glück nicht erzwingen könne.«
    Ihr Zimmer nahm bald alle Merkmale einer Insel an. Es war, als hätte sie es in Schichten um sich herum gelegt, und am Ende setzte sie eine alte Puppe aus Kindertagen auf ihr Bett, damit keiner es entweihte.
    Versuche, Karten zu schreiben, Briefe an Freunde ausdem alten Leben, misslangen. Sie begnügte sich mit ihrer Unterschrift auf einem leeren Blatt Papier. »Sie wissen lassen, dass es mich noch gibt«, meinte sie, »ist genug.«
    Immer musste sie das Gefühl haben fort zu können, hinaus, auf weite Ebenen, auf endlose Straßen. »Es zerreißt mich!«, sagte sie und rang nach Atem. »Ich zerspringe.«
    Die Fahrten über Land mit Dorothees oder Hans’ Auto. Sie hungerte nach Menschen, nach Gesichtern, nach Leben, weil sie ihrer eigenen Einsamkeit nicht begegnen konnte, und vor allem hungerte sie nach ihrer Freiheit und hoffte sie in rasender Irrfahrt über die Landstraßen wiederzuerlangen, wäre ein Reh auf die Straße gesprungen, es hätte sie und es zerrissen.
    Sie sprach kaum, saß, lag nur da, schaute, in sich hinein, an allen vorbei. Manchmal nur murmelte sie Namen, leise, undeutlich. Ihr Leben war nicht geworden, wie es hatte werden sollen. Die Erkenntnis war bitter und Wege zurück gab es nicht. Wo aber hätten sie auch hingeführt – in eine Freiheit, die lediglich bestanden hatte, um aufgegeben zu werden, um die Erkenntnis zu gewinnen, dass es Freiheit nicht geben konnte, da immerfort und allerorts vieles zu verlieren war. Nach dem Kind fragte sie nie, denn sie wusste nicht, dass es eins gab.
    »Sie entglitt uns«, sagte Dorothee. »Wir konnten sie schwer fassen. Sie war überall und nirgends, im luftleeren Raum. Sie verlor sich zusehends, es war, als wolle sie alle ihre Spuren verwischen. Wir hatten lange Zeit große Angst um sie.«
    Hanna fühlte sich vom Ende der Welt durchdrungen, genau in diesem Pathos, von der Tödlichkeit einer Ahnung, dass nichts, nichts, am wenigsten sie selbst, von absoluter Perfektion sei.
    Sie redete wirres Zeug von ihrer Mutter, dass sie gestorben sei, dass man ihr das verschwiegen habe, und dass sie nun einen Weg suche, zu versteinern, um nicht schreien zu müssen, ständig und immer schreien.
    »Aber das ist nicht wahr«, redete Dorothee ihr gut zu, »deine Mutter ist nicht gestorben. Sie ist sehr krank, das stimmt, aber gestorben ist sie nicht. Wollen wir sie besuchen?«
    »Besuchen?«, fragte Hanna und vermisste etwas und wusste nicht, was und wusste nicht, wen. »Besuchen? Wen? Wen soll ich besuchen?«
    Sie dachte, was wäre, wenn sie kämen, was, wenn sie plötzlich langsam hereinspaziert kämen, die Hände in den Hosentaschen, lächelnd, was, wenn sie sich zu ihr setzten und die alte Vertrautheit entstünde. Was, wenn der Krebs immer noch in ihr wüchse, die Chance bestünde doch, die Chance sei doch ziemlich hoch, was, wenn sie zu sterben hätte, wenn es gewiss sei, dass sie stürbe. Ob sie kämen? Ob sie kämen, um nach ihr zu sehen, ihre Hand zu halten, den Tod fortzuscheuchen? Ob sie kämen?
    »Wer, Hanna, hab ich gefragt«, erzählte Dorothee und starrte unverwandt in die Krone des Baumes in Gertruds Garten, »soll kommen? Wer?«
    Aber Hanna schaute sie unbewegt an. »Was willst du von mir. Lass mich in Ruhe.«
    »Nach mehr als einem Jahr«, sagte Dorothee leise, »kehrte sie endlich ins Leben zurück. Das hatte keiner mehr erhofft und erwartet.«
    Es war Januar. Von den Wiesen stieg frühmorgens Nebel auf, gefror und machte Straßen

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