Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Stille zurück, würde ich dir geben wollen, alles, was du brauchst, auch die Ewigkeit, aber ich … habe keine Zeit …
Sie erhob sich, lächelte ein wenig traurig in Borgers still gewordenes Gesicht und lauschte dem Ton nach, der wie ein leises Rauschen in der Ferne verklang … aber ich, dachte Franza den Gedanken zu Ende, aber ich … habe keine Zeit … darum … hilf mir …
Es war wie immer. Ein Schweben zwischen Höhe und Tiefe, ein Tasten, ein Fühlen, ein Fallen hinein in das fremde Leben, das fremde Sterben.
Wie ist es gewesen, fragte Franza, wie ist das gewesen, als du die Spitze des Messers an der Haut gespürt hast. Als es eindrang. Als es weich an deinen Rippenbögen vorbei ins Herz flutschte. Weich wie eine Stimme, die dir ins Ohr flüsterte: Es ist gut. Es ist gleich vorbei. Sei ruhig. Es ist gut.
Dann der hohe Ton, der den Himmel ausmaß und die Dichte der Nacht durchleuchtete. Dann starb sie. Dann war sie gestorben. Mit einem Messer in der Brust, das ihr das Herz zerschnitt. Mit einem Schmerz, der sie zerriss und endlich losließ in die Behutsamkeit des Sterbens hinein. Vielleicht war sie erstaunt über diese merkwürdige Tatsache. Dass sie starb. Nun. So plötzlich. So unvorhergesehen. An diesem Ort, der fürs Leben gedacht war, nicht fürs Sterben.
Sie fiel. Ließ ihren Körper los. Ihr Arm sank zur Seite, ihre Hand öffnete sich, bitterweiße Linien, Blut.
Vielleicht spürte sie eine große Einsamkeit, vielleicht fror sie. Vielleicht hörte sie das Messer noch, als es klirrend auf den Boden fiel, vielleicht hörte sie den Ton in der Luft, dann … nichts mehr. Der Tod schluckte alle Geräusche, dämpfte sie, erstickte sie, tötete sie.
»Gertrud Rabinsky«, sagte Arthur, der schon fleißig gewesen war.
Franza hob rasch die Hand, er stockte, sie atmete tief durch, schloss für zwei Sekunden die Augen, drehte sich schließlich um. »Jetzt«, sagte sie.
»Verzeihung«, sagte Arthur.
»Keine Ursache«, sagte sie.
Er begann. »44 Jahre alt, verheiratet, eine erwachsene Tochter mit einer Wohnung in der Stadt. Ein kleiner Sohn, der hat bei den Großeltern übernachtet, glaube ich, oder bei Freunden. Auf alle Fälle war keines der Kinder im Haus über Nacht. Gefunden hat sie ihr Mann. Den hab ich vorhin weggeschickt, der stand nur völlig verzweifelt in der Gegend herum. Er bringt nun wohl seinen Kindern schonend bei, dass ihre Mutter … nun ja …«
Er verstummte kurz.
Gut, Arthur, dachte Franza und spürte eine leise Zärtlichkeit für den jungen Assistenten. Das machst du gut! Lass niemals zu, dass es dich völlig kaltlässt. Schütz dich, aber sei nicht kalt dabei!
Sie nickte ihm zu, er fuhr fort. »Sie hatte einen Töpferladen in der Innenstadt. In der Nähe des Doms.«
»Ja«, sagte Borger überrascht. »Genau. Jetzt weiß ich, warum sie mir bekannt vorkommt. Ich habe Tassen bei ihr gekauft. Ich habe ihr beim Arbeiten zugeschaut und dann habe ich Tassen gekauft. Es ist noch gar nicht lange her. Hübsche Tassen!«
»Ja«, nickte Franza, »bestimmt«, und spürte die Spur eines Lächelns im Gesicht.
Wie seltsam anders ein Fall wurde, wenn man das Opfer auch nur flüchtig gekannt hatte, wenn man ihm kurz begegnet war, als es noch gelebt hatte. Plötzlich fehlte die schützende Fremdheit.
»Was kannst du uns denn schon sagen?«, fragte Herz, der ein wenig unempfindlicher war, der die feinen Zwischentöne nicht immer hörte oder hören wollte, wofür Franza ihm dankbar war, weil sie so die Brücke bauen mussten zwischen dem Klaren und dem Vagen. Wie oft hatten sie schon festgestellt, dass die Lösung genau in der Mitte lag.
»Stichwunden«, sagte Borger. »Drei. Mit großer Wucht ausgeführt. Vermutlich rasch hintereinander. Typisch für eine Affekttat. Beziehungstat. Große Emotionen. Und das Tatmesser habt ihr ja schon. Ein einfaches Küchenmesser, mit dem irgendjemand wohl vorher noch Wurst und Käse geschnitten hat.«
Er deutete Richtung Tisch, zum Holzbrettchen, dann auf die Zwiebel am Boden. »Und Zwiebeln vielleicht auch. Bloß diese nicht. Aber das werde ich euch dann später genauer sagen, wenn ich die Spuren in den Einstichkanälen untersucht habe.«
Kurze Pause, dann: »Und der Fundort ist mit hundertprozentiger Sicherheit auch der Tatort.«
»Danke, Borger«, lächelte Herz, »aber lass uns auch noch ein wenig Arbeit. Oder hast du den Fall schon gelöst?«
»Wann?«, fragte Franza.
Borger wiegte den Kopf. »Dem Grad der Totenstarre und der Konsistenz des
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